Nur etwa 6 Prozent aller in der Medizin angewandten Interventionen haben eine ausreichend gute Datenlage und sind wirksam
Unser neuer Meta-Review zeigt: Das Rückgrat der Evidence Based Medicine ist schwach
Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich sehr skeptisch gegenüber dem postmodernen Erlösungsnarrativ der modernen Medizin bin, das da verkündet: Wir leben so lange und es geht uns so gut, weil die moderne Medizin so gewaltige Fortschritte gemacht hat. Daher ist alles, was uns die moderne Pharmakologie beschert, gut, begrüßens- und unterstützenswert (und sollte durch die Öffentlichkeit finanziert werden).
Schon der legendäre Sozialmediziner Thomas McKeown aus Birmingham hat in den 70er Jahren darauf hingewiesen, dass diese verbreitete landläufige Meinung höchstwahrscheinlich falsch ist und meinte in der Einleitung zu seinem immer noch sehr lesenswerten Werk „The Role of Medicine: Dream, Mirage, or Nemesis? – Die Bedeutung der Medizin: Traum, Trugbild, oder Nemesis?“ [1,2]: Wenn er Petrus wäre, er würde nur zwei Typen von Ärzten in den Himmel lassen, nämlich Unfallchirurgen und Zahnärzte. Denn das wären die einzigen, die wirklich zu einer Verringerung von Leiden beigetragen hätten. Die eigentlichen Fortschritte und damit die Verlängerung der Lebensspanne und die Verbesserung der Lebensqualität würden wir nicht der Medizin verdanken, sondern sozial-politischen Fortschritten, besserer Ernährung, der Hygiene und Lebensbedingungen ohne dauernde Angst vor Not und Tod.
Nun, das war in den 70ern. Vielleicht ist es heute anders? Wir haben eine sehr groß angelegte Meta-Studie durchgeführt, um die Frage zu beantworten, wie gut die Datenlage für medizinische Interventionen im Allgemeinen ist. Sie ist jetzt im Journal of Clinical Epidemiology publiziert worden [3]. Ich diskutiere in diesem Blog die Studie und ihre Befunde etwas genauer. Für Eilige: Die Datenlage hat sich nicht groß geändert. Maximal 6 Prozent aller in der Medizin angewandten Intervention, egal wo, sind durch gute Datenlage gedeckt.
Nur kurze Zeit (bis 22.08.2022) ist der Meta-Review frei zugänglich unter: https://authors.elsevier.com/c/1fIHz3BcJQAobl