Warum wir ein Modell für nicht-lokale Effekte benötigen und wofür

Deutscher Begleittext zu
„Parapsychological Phenomena as Examples of Generalized
Nonlocal Correlations—A Theoretical Framework“
HARALD WALACH, WALTER VON LUCADOU, HARTMANN RÖMER

Eines des beliebtesten Vorurteile aller Zeiten ist es zu glauben, dass gerade wir, die wir jetzt leben „modern“ sind im Vergleich zu denen, die vor uns waren, und dass es wir also besser können und besser gemacht haben als diese. Das sieht man daran, dass der Begriff „die Modernen“ schon im Mittelalter von den scholastischen Philosophen für sich selbst verwendet wurde, um etwas altbackene Autoren zu kennzeichnen, gegen die man sich gerne abgrenzte. Umgekehrt kommt auch der Topos immer wieder vor, dass früher alles viel schöner war und die Heutigen, die Modernen viel schlimmer sind als alles, was früher war, in den goldenen Zeiten also. Einen solchen Topos findet man schon bei dem athenischen Redner Demosthenes, der sich über die Untugend der Jugend beschwert. Keine der beiden Sichtweisen ist besonders sinnvoll. Denn wir machen Fortschritte auf manchen Gebieten, Rückschritte auf anderen, treten auf der Stelle auf wieder anderen, und wie man den Erfolg summarisch bemessen sollte ist aus meiner Sicht extrem schwierig (siehe meinen Blog zum „Fortschritt“).

So ist es auch mit unserem „modernen wissenschaftlichen Weltbild“. Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die diesen Begriff als Chiffre dafür verstehen, dass wir heute bestimmte Dinge unhintergehbar wissen und festgestellt haben und es deshalb andere Dinge mit Sicherheit nicht geben wird oder kann. Zu den Dingen, die wir zu wissen scheinen gehört die Vorstellung, dass unser Universum kausal durchstrukturiert und durchdeterminiert ist. Daraus leiten manche dann die Idee ab, dass unser Bewusstsein als eigene Entität lediglich abgeleitet von der Materie vorstellbar ist und also auch die Fähigkeit, sich mehr oder weniger frei für etwas zu entscheiden auch nur eine Art wohlwollender Täuschung eines kausal geschlossenen Universums ist. Sie sagen, dass das Universum dem Bewusstsein des Menschen vorgaukelt, es sei ein Akteur, wo es doch bloß eine zuschauende Instanz ist, die vom deterministisch und kausal geschlossenen Universum seine Handlungsoptionen empfängt und umsetzt.

Deswegen sind auch so altmodische Begriffe wie „Wille“, noch dazu „freier Wille“, oder „Bewusstsein“, oder „Freiheit“ in einem solchen Weltmodell genauso wenig sinnvoll, wie alle Denkweisen, die dieses grundlegende „moderne wissenschaftliche Weltbild“ (mwW) in Frage stellen. Dieses mwW hat wenig mit Wissenschaft zu tun, aber sehr viel mit Religion – nämlich mit einer postmodernen, materialistischen Wissenschaftsreligion, die nur funktioniert, weil sie Wirklichkeit selektiv zur Kenntnis nimmt, Phänomene ausblendet und meta-theoretisch sehr schlecht informiert ist, was den Diskurs über Wissenschaft und ihre Reichweite angeht. Aber das steht auf einem anderen Blatt, das ich heute nicht zu analysieren gedenke.

Dieses „moderne wisssenschaftliche Weltbild“ (mwW) hat wenig mit Wissenschaft zu tun, aber sehr viel mit Religion.

Solche Pseudo-Modernität, wie ich es mal nennen will, die davon ausgeht, dass bestimmte Dinge ein für allemal klar sind, gab es immer wieder. Philipp von Jolly etwa, der Münchner Ordinarius für Physik, gab 1874 dem jungen Max Planck nach dessen Abitur den Rat, nicht Physik zu studieren, weil es nichts grundlegend Neues mehr in der Physik zu entdecken gäbe [1]; das Gleiche wird von Lord Kelvin kolportiert. Den weiteren Verlauf kennen wir. Die Entdeckungen Planck’s und der von ihm inaugurierten Quantenphysik machen die klassischen Befunde weder falsch noch hinfällig. Vielmehr weisen sie die klassische Physik als einen Sonderfall der Quantenphysik aus.

Insofern gibt es natürlich gültige und verlässliche Befunde. Darum steigen wir ja in Flugzeuge und Autos. Denn das Bernouillische Gesetz, das den Auftrieb unter Strömung definiert und es möglich macht Flugzeuge zu konstruieren, ist auch unter den Bedingungen der Quantenphysik gültig. Mein Punkt ist, dass neue Erkenntnisse nicht immer dazu führen müssen, dass alte Erkenntnisse über den Haufen geworfen werden. Vielmehr ist es so, dass man aus einer momentan gültigen Perspektive und aus dem Horizont gegenwärtigen Wissens heraus niemals sagen kann, was in Zukunft sein wird oder nicht. Denn unser Wissen ist immer perspektivisch. Es ist immer methodenabhängig. Und es ist nie voraussetzungsfrei.

Momentan geht die Mehrheit der Forscher und unser „offizielles“ mwW davon aus, dass nur kausale Zusammenhänge Regelhaftigkeit garantieren. Wenn wir den Lichtschalter drücken, geht das Licht an. Immer (wenn die Leitung in Ordnung ist, Strom vorhanden und die Lampe funktioniert). Egal, in welcher Stimmung wir das tun, ob wir es gerne tun oder nicht, ob wir es wollen oder nicht. Kausale Prozesse funktionieren auch ohne bewusste Intention. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass diese Aussage eine methodische Voraussetzung macht. Solche Prozesse werden mit der unschlagbar mächtigen Methode unserer modernen Wissenschaft aufgefunden: mit Hilfe des Experiments und der theoretischen Analyse der Ergebnisse.

Unser Wissen ist immer perspektivisch. Es ist immer methodenabhängig. Und es ist nie voraussetzungsfrei.

Prozesse, die sich dieser Regelhaftigkeit entziehen, kommen im mwW nicht vor, denn sie können mit dieser Methode nicht entdeckt werden. Man kann sich nun auf den Standpunkt stellen, dass uns das egal sein kann, denn andere Prozesse sind es nicht wert gewusst und untersucht zu werden. Das halte ich aber für eine einigermaßen törichte Position. Denn viele menschliche Ereignisse folgen dieser Logik nicht: einmalige Begegnungen, innovative und kreative Ideen, das Entstehen von Neuem, usw. sind nur ein paar Beispiele dafür, dass genau das Nicht-Kausale, Schöpferische, Innovative eine zentrale Rolle spielt im menschlichen Leben.

Das mwW macht ein paar wichtige Voraussetzungen. Es geht davon aus, dass solche regelhaften Prozesse, die wir kausal nennen, nur durch sog. „lokale“ Ursachen vermittelt sind. Damit sind solche Ursachen gemeint, die durch Austausch von Energie vonstattengehen. Der Begriff der „Lokalität“ geht auf die Einsteinsche spezielle Relativitätstheorie zurück [2]. Diese besagt, dass nur solche Regionen des Universums in kausaler Beziehung zueinander stehen können, die von einem Signalstrom, z.B. von Licht oder elektromagnetischen Wellen berührt werden, der die Ursache, z.B. ein Signal, übermittelt. Weil sich lt. Einstein jedes Signal im Universum mit endlicher Geschwindigkeit, nämlich mit Lichtgeschwindigkeit, also etwa 300.000 km pro Sekunde, fortpflanzt, sind Regionen des Universums, die außerhalb eines solchen Lichtkegels liegen, nicht miteinander in kausalem Kontakt. Oder, anders gesagt, nicht lokal miteinander verbunden.

Z.B. ist das, was wir vom Mond sehen, nie das, was jetzt im Augenblick dort geschieht, weil das Licht vom Mond zur Erde etwa eine Sekunde benötigt. Wenn wir auf dem Mond eine Vertreibungseinrichtung für Aliens stationiert hätten, die von der Erde aus bedient wird und dazu dienen soll Aliens zu vertreiben, die den Mond zerstören wollen, dann könnten wir, wenn die Aliens schnell genug sind, nie den Mond vor dem Untergang retten. Denn bis wir sehen, was dort passiert und ein Signal dorthin schicken, sind schon 2 Sekunden vergangen und die Aliens hätten in diesen 2 Sekunden den Mond kapern können, ohne dass wir es hätten verhindern können. Aus dem gleichen Grund können wir in diesem Modell auch nichts über die Zukunft sagen, denn Signale aus der Zukunft können uns definitionsgemäss nicht erreichen, weil ja auch die Zukunft mit der Gegenwart nicht lokal verbunden sein kann.

All das ist wichtig zu verstehen, denn es macht deutlich, warum im mwW das Vorhandensein und Zustandekommen von sog. „paranormalen“ oder „anomalistischen“ Phänomenen, wie Telepathie, Telekinese oder Hellsehen nicht vorkommen können, ja dürfen, ohne dieses Weltbild in ernsthafte Probleme zu bringen [3].

Im mwW dürfen sog. „paranormale“ Phänomene nicht vorkommen, ohne dieses Weltbild in ernsthafte Probleme zu bringen.

Noch etwas ist wichtig zu verstehen: Mit Hilfe unserer wissenschaftlichen experimentellen Methode lässt sich allenfalls zeigen, was der Fall ist (wenn man Glück hat). Was sich nicht zeigen und schon gar nicht beweisen lässt, ist, dass etwas grundsätzlich nicht sein kann. Denn dazu müssten wir jetzt und in Zukunft das ganze Universum absuchen können und das geht rein faktisch nicht. Das Nicht-Vorkommen von Dingen oder Tatsachen ist epistemologisch viel komplexer als deren Vorkommen. Wenn wir mit einem immunologischen Test oder unter dem Elektronenmikroskop ein Virus nachweisen können, können wir von seinem Vorhandensein ausgehen. Wenn wir das nicht können, heißt es nicht, dass es nicht vorhanden ist, sondern lediglich, dass wir es nicht entdecken konnten. Vielleicht war unsere Methode nicht sensibel genug.

Daher sind Aussagen von der Form: „Die moderne Wissenschaft hat bewiesen, dass x nicht sein kann“ schon in sich falsch. Denn die Wissenschaft beweist allenfalls, dass etwas der Fall ist oder vorkommt, aber nicht, dass es nicht vorkommt oder nicht existiert.

Die Wissenschaft beweist allenfalls, dass etwas der Fall ist oder vorkommt, aber nicht, dass es nicht vorkommt oder nicht existiert.

Diese Vorbemerkungen sind wichtig, um zu verstehen, was es mit unserem Modell der generalisierten Verschränkung auf sich hat. Das Modell, das wir an verschiedenen Stellen publiziert haben [4], geht auf Überlegungen von Hartmann Römer zurück, und wurde von ihm im Dialog mit Harald Atmanspacher und mir entwickelt. Er hat es dann mit anderen weiter entwickelt und wir denken in loser Folge über Anwendungen, empirische Testung und Weiterentwicklungen nach. Wir haben vor einiger Zeit einmal eine Konferenz zu dem Thema organisiert, deren wesentliche Inhalte in einer Sondernummer von „Axiomathes“ publiziert wurden [5], und im November war ich auf einem Arbeitsworkshop am Zentrum für Interdisziplinäre Studien an der Universität Paris-Diderot eingeladen, der sich mit dem Thema beschäftigt hat. Das Modell interessiert also immerhin ein paar andere Köpfe als uns. Das Modell geht davon aus, dass es sinnvoll sein kann, die theoretische Möglichkeit nicht-lokaler Verbundenheit zu beschreiben und tut dies auch, bzw. deren Voraussetzungen.

Jetzt haben wir eben eine neue Anwendungsmöglichkeit publiziert: Wir beschreiben, wie man mit diesem Modell das Auftreten und Vorkommen solcher paranormaler oder anomalistischer Ereignisse wie Telepathie, Telekinese oder Präkognition verstehen kann (wenn man das sinnvoll findet und tun will) [6]. Wir gehen in dem Artikel explizit davon aus, dass es solche Ereignisse gibt und dass es sinnvoll ist, sie zu verstehen. Das Verständnis wird durch ein Modell nicht-lokaler Verbundenheit ermöglicht, das der Tatsache Rechnung trägt, dass es sich bei solchen Phänomenen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um kausale Signalübertragungsprozesse handelt, also um nicht klassisch-kausale Ereignisse. Das muss ein bisschen erläutert werden:

Wir denken, dass es eine Kategorie von Phänomenen gibt – und solche anomalistischen Ereignisse sind nur ein Beispiel unter vielen für solche Phänomene – die sich dadurch auszeichnen, dass sie zwar regelhaft sind, aber nicht kausal im klassischen Sinne, also nicht durch Signalübertragung oder Wechselwirkung von Austauschteilchen vermittelt werden [7]. Vielmehr kommen sie zustande als korrelative Ereignisse aufgrund einer formalen Ordnung innerhalb von Systemen. Anders ausgedrückt: sie sind vermutlich Ausdruck von systemischen Grenzen und Ordnungen innerhalb von Systemen und damit Eigenschaften des formalen Aufbaus von Systemen. Während eine kausale Verbindung im klassisch-physikalen Sinne eine Wirkursache (causa efficiens) in der Terminologie der aristotelischen Ursachenlehre darstellt, wäre eine solche systemische Regelhaftigkeit ohne Wechselwirkung eine Formursache (causa formalis). Andere Beispiele für die Kategorie dieser Phänomenklasse wären etwa sychronistische Ereignisse im Sinne von C.G. Jung [7] und möglicherweise Beispiele rituell-magischer Handlungen, wie sie die Ethnologie vielfach berichtet [8].

Wir denken, dass es eine Kategorie von Phänomenen gibt die sich dadurch auszeichnen, dass sie zwar regelhaft sind, aber nicht kausal im klassischen Sinne.

Nun werden uns Vertreter des mwWs entgegenhalten: So ein kapitaler Unsinn! Kein Mensch braucht so etwas! Das Prinzip der Sparsamkeit, Ockhams Rasiermesser, lehrt uns, dass wir mit Konzepten und Entitäten sparsam umgehen sollen. Und Ihr kommt hier mit einer Theorie für etwas daher, was es zum einen womöglich gar nicht wirklich gibt und zum anderen für uns irrelevant ist. Was soll das?

Wir haben einige Sympathie für einen solchen Standpunkt. Denn fürs erste sieht es ja wirklich so aus, als wäre all das reine Spinnerei und Beschäftigungstherapie für gelangweilte Abergläubische. Aber ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Hier sind einige Argumente, warum ein solches Modell aus unserer Sicht nötig ist:

  1. Modelle sind nicht nur a posteriori dazu da zu erklären, was man vorgefunden hat. Sie geben vielmehr auch a priori vor, was wir möglicherweise finden können. Anders gesagt: sie definieren den Horizont des Erwartbaren. Wenn ein Modell uns nur kausal miteinander Verbundenes erwarten lässt, dann werden wir nur solches finden. Das beste Beispiel für die Erweiterung unseres wissenschaftlichen Erwartungshorizontes sind so erfolgreiche Modelle wie die Quantentheorie oder die Evolutionstheorie. Sie dienten nicht nur dazu, Erklärungen für bekannte Phänomene und Anomalien zu liefern. Sie ermöglichten auch das Auffinden ganz neuer Gegebenheiten. Das ist auch der Grund, weswegen wir uns der theoretischen Struktur der Quantentheorie bedient haben. Und wohlgemerkt: der theoretischen Struktur, nicht der dazugehörigen Physik. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge.
  2. Die parapsychologischen Phänomene sind nur eine Phänomenklasse, die als Phänomene gut belegt, aber wissenschaftlich im Rahmen des mwW nicht gut verstehbar sind. Ich sage, sie sind gut belegt. Patrizio Tressoldi hat vor Kurzem eine Reihe von klassischen und Bayesianischen Meta-Analysen gerechnet und findet für drei der sechs untersuchten Phänomenklassen – für Ganzfeld-Telepathie, für Präkognition und für antizipatorischen Response klar signifikante Effektstärken (siehe meinen Methodenblog zur Meta-Analyse) mit sehr großen Bayes Faktoren von 107, 313, 211 [10]. Wir sind ja alle Bayesianer (siehe meinen entsprechenden Beitrag).
    Das bedeutet: unser Vorwissen und vor allem unser Weltmodell gibt uns implizit vor, was wir für plausibel halten. Wenn unsere Erwartung für ein Vorkommnis etwa 50:50 beträgt, dann entspricht eine Bayes’sche Analyse der klassischen Statistik. Wenn hingegen unsere Ausgangserwartung wesentlich geringer ist – wie das bei den meisten modernen Menschen aufgrund des mwW gegenüber paranormalen Phänomenen der Fall ist – dann benötigen empirische Befunde eine wesentlich geringere Irrtumswahrscheinlichkeit um zu überzeugen. Sagen wir, unsere Ausgangswahrscheinlichkeit, dass es so etwas wie Telepathie geben kann, ist eins zu einer Million. Dann sagt uns der Bayes Faktor, mit welcher Zahl wir diese Ausgangswahrscheinlichkeit multiplizieren müssen, um die statistische Wahrscheinlichkeit richtig interpretieren zu können. In diesem Falle ist er eben 107, also um eine Zehnerpotenz höher als unsere Ausgangswahrscheinlichkeit von 1 zu 1 Million. Und im Falle der anderen Paradigmata ist er um einige Potenzen größer, wie oben dargestellt. Anders ausgedrückt: empirisch gesehen muss man eigentlich Wahrnehmungsverweigerung betreiben, um an diesen Daten vorbei zusehen.
    Dabei handelt es sich jetzt ja nur um relativ künstlich produzierte experimentelle Daten im Labor. Die vielen Alltagsphänomene, durch die Zeit und durch die Kulturen sind da noch nicht eingerechnet. Darum haben wir seinerzeit gesagt: man muss das Prinzip der Sparsamkeit, Ockhams Rasiermesser, durch das Prinzip der phänomenologischen Offenheit – wir nannten es „Platons Rettungsboot“ – balancieren [11]. Denn man sollte nicht vergessen: bei Ockhams Rasiermesser geht es nicht darum, Phänomene wegzurasieren, sondern sorgfältig mit Begriffsentitäten umzugehen [12]. Und da scheint es uns allemal sparsamer davon auszugehen, dass unser momentanes physikalisches Standardmodell ausreichend ist, aber durch die theoretische Erweiterung des quantentheoretischen Rahmens in eine Systemtheorie das Verständnis solcher nicht-lokaler Phänomene erlaubt. Insofern sind parapsychologische Phänomene für uns Phänomene, die in unserer Lebenswelt vorkommen und im Rahmen eines erweiterten Verständnisses eine theoretische Fundierung erhalten könnten.
  3. Wir haben in der Analyse des Modells der generalisierten Quantentheorie gesehen, dass dieses Modell vor allem ein wichtiges Merkmal gegenüber klassischen theoretischen Ansätzen hat und sich durch dieses Merkmal unterscheidet: es ist in der Lage, nicht kompatible, komplementäre Operationen formal zu handhaben. Kompatible Operationen sind solche, bei denen es egal ist, in welcher Reihenfolge wir sie ausführen. Ob wir uns morgens erst die Haare kämmen und dann die Zähne putzen ist egal, oder ob wir erst frühstücken und dann duschen oder umgekehrt. Aber schon wenn es um die Frage geht, ob wir erst die Haare waschen und dann kämmen sollen oder umgekehrt merken wir, dass es möglicherweise nicht egal ist. Und so gibt es auch im normalen Leben sehr viele Handlungen, bei denen die Reihenfolge eine Rolle spielt.

Nicht kompatible oder nicht kommutierende Operationen sind das Kernelement, das eine Quantentheorie von einer klassischen unterscheidet.

Die Analyse des quantentheoretischen Rahmens hat uns gezeigt, dass man alle möglichen Spezifikationen beiseite lassen kann, die wichtig sind für das physikalische Funktionieren der Theorie, nur ein Element nicht, wenn man den begrifflichen Kern des Quantenformalismus erhalten will: den Umgang mit nicht kompatiblen oder nicht kommutierenden Operationen. Dies ist das Kernelement, das eine Quantentheorie von einer klassischen unterscheidet. Ein anderer Ausdruck oder eine andere Verständnismöglichkeit für solche nicht kompatiblen, oder nicht kommutierenden Operationen, oder auch komplementäre Größen – ich verwende die Begriffe hier austauschbar – ist: sie als solche Operationen zu verstehen, bei denen das Feststellen oder Messen einer Größe diese Größe selber verändert.

Während in der klassischen Physik das Messen einer Größe das gemessene Objekt nicht verändert, tut es dies im quantentheoretischen Kontext sehr wohl. Unser Punkt ist nun: dies ist nicht nur in der Physik so, sondern auch in anderen Kontexten, auch in nicht-physikalischen. Aus exakt dem Grund ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig den Denkrahmen der Quantentheorie von der Physik auf andere Systeme zu erweitern. Man kann das im Moment nur tun, in dem man wohlbekannte Theoreme und Definitionen aufgibt und folglich Präzision im theoretischen Modell verliert. Aber dafür gewinnt man ein theoretisches Verständnis für Phänomene, die vorher gar nicht verstehbar waren.

Ein gutes Beispiel dafür, wie das Feststellen einer Eigenschaft den Gegenstand selbst verändert, ist unser Bewusstsein. Wenn wir bemerken, wodurch unsere Stimmung beeinflusst wird, verändert sich die Stimmung meistens sofort. Wenn wir feststellen, dass unsere Aufmerksamkeit abgeschweift ist, ist die Abschweifung beendet. Unser Bewusstsein verändert sich durch jedes reflexive auf sich selbst Beziehen in seinem Akt. Unser Bewusstsein wäre also ein guter Kandidat, um als nicht-klassisches System im Rahmen einer solchen Theorie beschrieben zu werden. Ja, wir finden, das Bewusstsein müsste als nicht-klassisches System aufgefasst werden [13, 14].

Ein gutes Beispiel dafür, wie das Feststellen einer Eigenschaft den Gegenstand selbst verändert, ist unser Bewusstsein. Wenn wir bemerken, wodurch unsere Stimmung beeinflusst wird, verändert sich die Stimmung meistens sofort.

Dies sind nur drei Argumente dafür, warum ein solches Modell einer verallgemeinerten Quantentheorie sinnvoll sein kann. In den angegebenen Referenzen [4,5, 6] haben wir noch mehr Beispiele und Argumente genannt.

Das hier vorgelegte Modell ist nicht mehr und nicht weniger als das: ein Modell. Es sind immer viele Modelle denkbar, um einen Satz von Phänomenen zu verstehen oder theoretisch einzuordnen. Der Vorteil des hier vorgelegten Modells ist es, dass es die gesamte Phänomenologie abdecken kann und gleichzeitig einigermaßen zwanglos mit dem Hauptstrom der Wissenschaft verbunden werden kann, vorausgesetzt man akzeptiert, dass die Verallgemeinerung der Quantentheorie ein sinnvolles wissenschaftliches Programm sein kann.

Das heißt bei weitem nicht, dass es keine anderen Modelle geben kann und soll [15]. Wir gehen davon aus, dass das Auftreten solcher Phänomene also mit der Frage zusammen hängt, wie Systeme und ihre Grenzen definiert werden. Und diese sind sehr häufig von wechselnder Art. Das ist auch der Grund, weswegen solche Phänomene im Alltag bevorzugt unter speziellen Bedingungen auftreten: persönliche Notlagen, tiefe, emotionale oder verwandtschaftliche Bindungen. Und warum sie sich unter experimentellen Bedingungen kapriziös verhalten. Wir sind auch nicht der Meinung, mit unserem Modell alle Probleme gelöst zu haben. Aber vielleicht haben wir ja mindestens eine Diskussionsgrundlage geschaffen. Das würde uns schon reichen.

Quellen und Hinweise
[1] Hoffmann, D. (2008). Max Planck: die Entstehung der modernen Physik. München: C.H.Beck, S. 12.
[2] Reichenbach, H. (1957). The Philosophy of Space and Time. New York: Dover.
[3] Zumindest, wenn man die Einsteinsche Theorie als unverzichtbar annimmt und das tun die meisten.
[4] Atmanspacher, H., Römer, H., & Walach, H. (2002). Weak quantum theory: Complementarity and entanglement in physics and beyond. Foundations of Physics, 32, 379-406.
Filk, T., & Römer, H. (2011). Generalized Quantum Theory: Overview and latest developments. Axiomathes, 21, 211-220. http://link.springer.com/article/10.1007/s10516-010-9136-6
Walach, H., & Stillfried, N. v. (2011). Generalised Quantum Theory—Basic idea and general intuition: A background story and overview. Axiomathes, 21(2): 185-209 http://link.springer.com/article/10.1007/s10516-010-9145-5
[5] Walach, H., & von Stillfried, N. (2011). Generalizing Quantum Theory – Approaches and Applications. Axiomathes 21 (2)(Special Issue), 185-371.
[6] Walach, H., von Ludacou, W., & Römer, H. (2014). Parapsychological phenomena as examples of generalized non-local correlations – A theoretical framework. Journal of Scientific Exploration, 28, 605-631.
[7] Sog. Austauschteilchen sind Teilchen im Standardmodell unserer Physik, die die bekannten Kräfte vermitteln. Photonen etwa sind die Austauschteilchen der elektromagnetischen Kraft. Die Gravitationskraft wird durch die – noch hypothetischen – Gravitonen vermittelt, u.s.w. Das Vorhandensein solcher Austauschteilchen ist ein Beispiel für das Lokalitätsprinzip: Ursachen werden im Standardmodell vermittelt durch den Kontakt über Teilchen.
[8] Jung, C. G. (1952). Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge. In C. G. Jung & W. Pauli (Eds.), Naturerklärung und Psyche (pp. 1-107). Zürich: Rascher.
[9] Müller, K. E. (1987). Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens. Ein ethnologischer Grundriß. Frankfurt: Campus.
[10] Tressoldi, P. E. (2011). Extraordinary claims require extraordinary evidence: the case of non-local perception, a classical and Bayesian review of evidence. Frontiers in Psychology, 2(2), Art 117. doi:10.3389/fppsyg.2011.00117
[11] Walach, H., & Schmidt, S. (2005). Repairing Plato’s life boat with Ockham’s razor: The Important Function of Research in Anomalies for Mainstream Science. Journal of Consciousness Studies, 12(2), 52-70.
[12] Walach, H. (2010). Ockham’s Razor. In N. J. Salkind (Ed.), Encyclopedia of Measurement and Statistics (Vol. 2, pp. 707-710). Thousand Oaks, CA: Sage.
[13] Römer, H., & Walach, H. (2011). Complementarity of phenomenal and physiological observables: A primer on generalised quantum theory and its scope for neuroscience and consciousness studies. In H. Walach, S. Schmidt & W. B. Jonas (Eds.), Neuroscience, Consciousness and Spirituality (pp. 97-107). Dordrecht: Springer.
[14] Walach, H., & Römer, H. (2011). Generalized entanglement – A nonreductive option for a phenomenologically dualist and ontologically monist view of consciousness. In H. Walach, S. Schmidt & W. B. Jonas (Eds.), Neuroscience, Consciousness and Spirituality (pp. 81-95). Dordrecht: Springer.
[15] Es gibt auch noch andere, komplexere physikalische Modelle, die von mehrdimensionalen Feldtheorien ausgehen, so etwa die Feldtheorie von Burkhard Heim und andere ähnliche Modelle. Diese Theorien können solche Phänomene auch verstehbar machen, aber um den Preis einer wesentlich komplexeren Physik. Und derzeit scheint die Stimmung unter den Physikern nicht dergestalt zu sein, dass man die Komplexität der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie noch um die einer mehrdimensionalen Feldtheorie bereichern will, es sei denn, man würde dadurch auch eine Vereinigung dieser großen physikalischen Themen zustande bringen.