Glyphosat und andere unbekannte Grössen

Das Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zur Unbedenklichkeit von Glyphosat sei zu großen Teilen von den Herstellerangaben plagiiert worden, schreibt die Zeitung „Tagesspiegel“ vom 6.10.17. Was das genau bedeutet, stand nicht drin. Wenn nämlich z.B. faktische Informationen wie die Zusammensetzung etc. kopiert worden sind, ist das ja nicht weiter tragisch. Aber ich gehe mal davon aus, dass auch Bewertungs- und Risikoinformationen zu den kopierten Inhalten gehören. Das BfR teilt auf seiner Webseite mit, das sei normale Praxis.

Ich nehme diese kleine Randnotiz (Achtelspalte im Wirtschaftsteil) aber zum Anlass, um auf eine andere Information hinzuweisen, die mich kürzlich erreicht hat. Es handelt sich um einen schon etwas älteren Artikel, den Swanson und Kollegen 2014 in einem randständigen Journal, ohne Digital Object Identifyer (DOI) publiziert haben [1]. Dass der Aufsatz in diesem Journal erscheint und nicht in einem größeren, kann mehrere Ursachen haben: Entweder die Autoren wollen die Assoziation unterstützen, die das Journal produziert, die non-profit Organisation „Center for Agriculture and Biosciences International“ (CABI); oder die Information ist viel zu heiss für andere Journals; oder die Autoren haben etwas falsch gemacht oder nicht gut genug ausgewertet oder sind Gutachterwünschen von anderen Journals nicht nachgekommen; oder aber sie hatten keine Lust sich den Mühen des wissenschaftlichen Publizierens zu unterziehen.

Die Autoren haben in diesem Aufsatz öffentlich zugängliche Daten über die Epidemiologie, also das Auftreten, von verschiedenen Krankheiten seit den 70iger Jahren und dem Einsatz genmodifizierter Pflanzen seit Beginn der 90er Jahre und dem Einsatz von Glyphosat seit der Mitte der 90er Jahre verwendet. Zur Erinnerung: Glyphosat, besser bekannt unter dem Namen „Roundup“ ist ein Pflanzenschutz- und Unkrautvertilgungsmittel, das speziell so gebaut wurde, dass man damit vor allem solche Pflanzen behandeln kann, die dagegen resistent sind, weil sie gentechnisch modifiziert wurden.

Alles andere, unerwünschte Pflanzen und tierische Schädlinge, gehen dabei zugrunde. In den USA wurde Glyphosat und genmodifizierte Saaten extensiv angewandt. Das betrifft vor allem die industrielle Agrarproduktion von Soya, Mais und anderem Getreide. Über die ökonomischen und politischen Konsequenzen eines solchen Vorgehens gehe ich jetzt hinweg. Wir wissen: die Befürworter und die Gegner bekämpfen sich heftig und die Europäische Union diskutiert derzeit über die Zulassung von Glyphosat oder ihre Versagung. Bayer hat Monsanto, den Entwickler dieses Produkts, aufgekauft, so dass mittlerweile auch der DAX einen Schnupfen bekommt, wenn Europa Glyphosat nicht in den Schengen Raum lässt. Soviel zum Hintergrund.

Die Autoren des Artikels zeigen nun an Grafiken, die keinerlei statistische Analyse brauchen würden: die Korrelation zwischen der Verwendung dieser Produkte – genmodifizierter Getreidesorten und der Anwendung von Glyphosat mit dem Anstieg verschiedener chronischer Erkrankungen, von Diabetes, über Alzheimer und Krebs ist extrem stark. Die Linien spiegeln sich sozusagen. Ein gesundes Auge und minimale Englischkenntnisse reichen, um den Grafiken des Aufsatzes die nötige Information zu entnehmen.

Korrelation
Abb mit freundlicher Erlaubnis

 

Da der Aufsatz online erhältlich und open access ist, kann das jeder für sich selber tun undich spare mir, bis auf ein Beispiel in der Abbildung, die weitere Erläuterung. Die Krankheiten für die sie ähnliche, oder sogar noch verblüffendere Korrelationen erstellen decken die ganze Palette der modernen medizinischen Geisterbahn ab: Nierenversagen, Nierenerkrankung, Krebs der Leber, der Niere, der Blase, Diabetes, Darmerkrankungen, Adipositas, Alzheimer, Schlaganfall, Autismus, um nur die wichtigsten zu nennen. Für alle sieht man einen starken, exponentiellen Anstieg der Inzidenz, also des Auftretens pro 100.000 Personen; die Zahlen sind altersadjustiert, haben also die demographische Entwicklung mit eingerechnet.

Das Erschreckende: die Anwendungszahlen von genmodifiziertem Getreide und Glyphosat spiegeln dieses Ansteigen der Krankheitsinzidenz praktisch perfekt. Anders ausgedrückt, je höher der Einsatz von Genmais und Co und Glyphosat ist, desto stärker steigen die Inzidenzzahlen der dokumentierten Erkrankungen. Interpolationen des Zeittrends von den 70iger Jahren bis in die 90er Jahre zeigen, dass eine Verlängerung des ursprünglichen Trends zu einem linearen Anstieg führen würden, wie man ihn im Rahmen einer zunehmenden Bevölkerung erwarten würde, nicht aber zu dem exponentiellen Anstieg, der stattfindet.

Es sind mehrere Prozesse bekannt, die die empirische Verbindung plausibel machen: Zum einen tötet Glyphosat nicht nur die unerwünschten Lebewesen und Pflanzen, sondern ist auch toxisch für manche wichtige Bakterien und Pilze. Da es in nicht unerheblicher Menge in Nahrungsmitteln verbleibt, könnte es durchaus sein, dass dadurch die Darmflora verändert wird und auf diese Art und Weise Krankheitsprozesse ausgelöst werden. Für Antibiotika ist das mittlerweile gut dokumentiert [2-3]. Der wichtigere Prozess scheint aber der zu sein, dass Glyphosat die Aktivität des wichtigen Entgiftungsenzyms Cytochrome P450 hemmt [4]. Dieses Enzym ist einer unserer wichtigsten Entgifter. Es sorgt dafür, dass wir, wenn wir z.B. zu viel Alkohol getrunken haben, nicht daran sterben und dass alle anderen Fremdstoffe, die nicht in den Körper gehören und die für uns giftig sind, wieder ausgeschieden werden. Schon ein bisschen Grapefruitsaft wirft diese Maschinerie an.

Wenn nun ein Stoff genau dieses Enzym hemmt, dann wird es problematisch. Denn dann können andere Gifte, tatsächlich gefährlich werden, die uns normalerweise nichts anhaben würden, weil sie in so kleinen Mengen daherkommen – ob das das Methylquecksilber im Fisch ist, oder das Pilzgift Aflatoxin in schlecht gelagerten Paranüssen oder auf älteren Nahrungsmitteln, oder andere Giftstoffe, von denen wir genügend haben. Manche Menschen sind bessere Entgifter und werden das nicht merken, andere aber, vor allem wenn sie mehrfach belastet werden oder gerade krank sind oder noch eine genetische Prädisposition mit sich tragen, werden dann eben krank.

Dieses Szenario ist sehr plausibel und erklärt auch, warum ausgerechnet diese Krankheiten so ansteigen, die die Autoren mit der Verbreitung von Glyphosat in Verbindung bringen. Ein paar Worte der Vorsicht: Korrelationen sind keine Verursachung, das zeigt das klassische Beispiel vom gleichzeitigen Rückgang der Geburten und dem Anstieg der Verwendung von Kühlschränken in Schweden oder den USA. Daraus abzuleiten, dass Kühlschränke für den Geburtenrückgang verantwortlich sind, wäre töricht. In dem Fall steckt eine dritte Variable hinter beidem, nämlich die zunehmende Industrialisierung und der damit verbundene Wohlstand.

Im Fall der Krankheiten und Glyphosat könnten in der Tat noch andere Variablen im Spiel sein, die wir nicht kennen oder an die wir nicht denken. Vielleicht die ökonomische Gier, die das Wirtschaftssystem weckt, also ein psychologisch-spiritueller Faktor? Vielleicht die Tatsache, dass mit zunehmendem Verlust der Nahrung an Vitalstoffen immer mehr davon konsumiert wird, also ein ökologisch-diätetischer Faktor? Vielleicht sind der Anstieg von Glyphosatverbrauch und Genmaiseinsatz nur allgemeine Marker für den zunehmenden Eintrag von Schadstoffen in die Umwelt, die unsere Gesundheit belasten und Glyphosat nur ein verlässlicher Marker für diese Beziehung? Vielleicht das Ansteigen von Inzidenzziffern, weil Diagnosen etwas öfter vergeben werden, weil sie in Mode kommen? Das dürfte auf jeden Fall auf Alzheimer [5] und auch in Grenzen auf Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und Autismus zutreffen [6]. Aber Diabetes? Adipositas? Krebs? Das erscheint mir eher unwahrscheinlich.

Besonders einleuchtend scheint mir das Argument der Autoren, dass sie immerhin 22 Krankheiten untersucht haben und bei allen eine extrem hohe Korrelation gefunden haben. Außerdem benennen sie über die Blockade von CP450 und die Veränderung der Darmflora zwei plausible Mechanismen. Solche gibt es hier, nicht aber bei der Korrelation von Kühlschränken und Geburtenrückgang.

Die Preisfrage bleibt also: wie giftig sind die Rückstände, mit denen wir Menschen am Ende der Nahrungskette in Kontakt kommen? Die Rückstände sind nicht unerheblich, das zeigen Tabellen von Messwerten. Da sich der Stoff im Boden anreichert, findet er sich dann auch in Bohnen oder Salat oder sonstwas wieder, was als Zwischensaat verwendet wird. Ob die Rückstände bedenklich sind? Ob sie durch Anreicherung über die Zeit noch gewichtiger werden? Ob sie durch andere und indirekte Wege in ihrer Giftigkeit verstärkt werden? Das wissen wir nicht. Aber die hier präsentierten Daten legen eine Ursächlichkeit nahe, die in Tiermodellen offenbar bereits festgestellt ist.

Mir fallen hier einige andere Beispiele von Bagatellisierungen und Verschleierungsstrategien ein, die Oreskes und Conway [7] brilliant am Beispiel Rauchen, saurem Regen und Klimaerwärmung analysieren: Man argumentiert erst über die Vernachlässigbarkeit des Risikos, dann über die Unbedenklichkeit kleiner Dosen, schließlich wird Zweifel an anderslautenden Forschungsergebnissen gesät, Behörden werden manchmal politisch eingeschüchtert, manchmal gekauft, manchmal beides, dann wird die Presse massiv bedrängt und die Stimmen von einigen wenigen Abweichlern werden überproportional aufgeblasen, um die „Balance“ zu halten, und dann kommt irgendwann noch die wissenschaftliche Keule, man könne aus Korrelationen keine Ursächlichkeiten ableiten. Das war lange das Standardargument der Tabakindustrie, um unliebsame epidemiologische Daten zu bagatellisieren. Aber wenn Korrelationen so stark sind wie hier, wenn sie so konvergent sind wie hier und wenn ein paar vermittelnde Prozesse bekannt sind, die die Plausibilität erhöhen, dann ist es sinnvoll das zu tun, was ich einmal anhand unserer Quecksilberübersichtsarbeit [8] analog zu Pascals Wette ausbuchstabiert habe.

Blaise Pascal hat einmal in einem berühmten Argument gesagt: Wir wissen nicht, ob es Gott gibt. Aber wenn ich mich so verhalte, als gäbe es einen, dann habe ich dann, wenn es am Ende wirklich einen gibt, bessere Eintrittskarten an der Himmelstür, als andersrum. Also macht es nichts aus, ob es ihn wirklich gibt oder nicht, ich verhalte mich einfach so, als gäbe es ihn. Analog könnte man hier argumentieren: Wenn es wirklich stimmt – und einiges spricht dafür – dass Glyphosat wirklich für diesen Anstieg an Krankheitsinzidenz verantwortlich ist, dann ist es weiser sich so zu verhalten, als würde es stimmen, als darauf zu warten, bis wir Sicherheit haben. Denn dann wird sich schon so viel verändert haben, die Krankheitskosten werden so angestiegen sein, dass die finanziellen Vorteile, die man sich vom Einsatz von Roundup erwartet, bei weitem aufgewogen sein werden. Genauer gesagt: diese Kosten von Krankheiten wird die Allgemeinheit getragen haben, während der Gewinn im Wesentlichen in private Taschen geflossen sein wird.

Ich finde, dass diese Daten auch zeigen, dass die allgemeine Beschwichtigungsstrategie, es wird alles ohnehin immer bessern, wenn man den Fortschritt und den Markt nur machen lässt, so einfach nicht ist. Unser Körper ist enorm robust. Sonst hätten wir nicht als Spezies in wesentlich unwirtlicheren Zeiten als diesen überlebt. Wenn wir aber nun genau jene Prozesse sabotieren, die uns evolutionär dabei geholfen haben – unsere Entgiftungsenzyme – dann handeln wir enorm töricht. Daher ist es auch weise, ein Übermaß an potenziellen Giften zu vermeiden und sich durch gesunde und vitalstoffreiche Ernährung fit zu halten. Daher ist es auch nicht dumm, vor allem bei solchen Produkten, die man viel verzehrt und die mit Getreiden aller Art hergestellt werden auf biologische Erzeugung zu achten, denn dort wird kein Roundup verwendet.

Zum potenziellen Gift gehört vor allem die Angst. Daher ist es nicht klug, die Angsttrommel zu rühren, wie das manche tun, auch wenn ich persönlich dafür Verständnis habe. Man merkt an diesem kleinen Beispiel: wir sitzen in einem Boot und können nicht durch isolierte Aktionen – Manipulation von ein paar Genen und Schwingen der chemischen Keule – Probleme lösen, die vernetztes statt isoliertem, ganzheitliches statt rein analytischem Denken benötigen.

Quellen und Hinweise:
[1] Swanson NL, Leu A, Abrahamson J and Wallet B. Genetically engineered crops, glyphosate and the deterioration of health in the United States of America. Journal of Organic Systems 2014;9.
[2] Willing BP, Russell SL and Finlay BB. Shifting the balance: antibiotic effects on host-microbiota mutualism. Nature Reviews Microbiology 2011;9:233-243.
[3] Hviid A, Svanström H and Frisch M. Antibiotic use and inflammatory bowel disease in childhood. Gut 2011;60:49-54.
[4] Samsel A and Seneff S. Glyphosate’s suppression of cytochrome P450 enzymes and amino acid biosynthesis by the gut microbiome: pathways to modern diseases. Entropy 2013;15:1416-1463. Dass ein “mainstream science blog” diese Information mit Hinweis auf reine Formalkriterien bagatellisiert, ohne inhaltlich zu argumentieren, ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaft immer wieder zum Szientismus wird; vgl. http://sci-phy.com/detecting-bogus-scientific-journals/. Eines der Formalargumente lautet: einer der Autoren wäre ein „freier Wissenschaftler“ und das Journal würde normalerweise nicht in diesem Themenbereich publizieren. Geflissentlich wird übersehen, dass Frau Seneff immerhin eine senior scientist Person am Massachusetts Institute of Technology ist und damit eher zum klügeren Ende der Normalverteilung der wissenschaftlichen Intelligenz gehört.
[5] Whitehouse P and George D. Mythos Alzheimer. Was Sie schon immer über Alzheimer wissen wollten, Ihnen aber nicht gesagt wurde. Bern: Huber, 2009.
[6] Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press, 2015.
[7] Oreskes N and Conway EM. Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. London: Bloomsbury, 2012, orig. 2010.
[8] 1. Mutter J, Curth A, Naumann J, Deth R and Walach H. Does inorganic mercury play a role in Alzheimer’s disease? A systematic review and an integrated molecular mechanism. Journal of Alzheimer’s Disease 2010;22:357-374.