Misteltherapie ist im deutschen Sprachraum bei Patienten als Zusatzbehandlung bei Krebs beliebt. Das hängt damit zusammen, dass Ita Wegmann, eine Mitarbeiterin von Rudolf Steiner, auf dessen Anregung hin die Mistel in die medizinische Krebstherapie eingeführt hatte. Steiner verwendete, neben dem Wissen um alte europäische Heiltradition, vor allem seine Intuition und die Signatur der Mistel: Die Mistel wächst parasitisch auf Bäumen und ernährt sich vom Wirtsbaum, der langsam aber sicher zugrunde geht. Nach der alten Signaturenlehre und ihrer Phänomenologie sollte Mistel also auch bei einer ähnlichen Krankheit am Menschen wirken, nämlich beim Krebs, der ebenfalls ein parasitisches Gewächs im Körper ist.
Frühere Studien
In den 70er und 80er Jahren erfolgte viel Grundlagenforschung zu Mistelextrakten. Diese zeigte, dass die Mistel eine Fülle von immunologisch relevanten Stoffen, sog. Lektinen, enthält, die das Immunsystem aktivieren [1]. Damals setzten auch erste klinische Studien ein, bei denen – vor allem anthroposophisch ausgerichtete – Ärzte die Mistel therapeutisch bei Krebspatienten einsetzten. Anfangs oft auch bei ziemlich aussichtslosen Fällen mit Krebs im Endstadium. Seither gab es eine ganze Reihe von Untersuchungen. Mein Kollege Thomas Ostermann publizierte 2020 in unserer Zeitschrift Complementary Medicine Research eine Meta-Analyse aller klinischen Studien, bei denen ein bestimmtes fermentiertes Mistelpräparat, Iscador, bei allen möglichen Krebsarten eingesetzt worden war und bei denen Überlebenszeit gemessen wurde [2]. Diese Publikation war eine Aktualisierung einer früher publizierten Studie und schloss neue Studien ein, insgesamt 32, sowohl randomisierte als auch nicht-randomisierte Vergleichsstudien. Die Hazard Ratio war 0,59, ziemlich exakt gleich wie bei der früheren Analyse.
Die Hazard Ratio quantifiziert den Unterschied zwischen Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe (meistens normale Behandlung) über die Zeit. Sie bedeutet in diesem Fall, dass mit Iscador behandelte Patienten eine um 41 % wahrscheinlichere längere Überlebenszeit haben, also deutlich länger leben. (Wie lange Patienten insgesamt länger leben, lässt sich in solchen Analysen nicht abschätzen, weil die Beobachtungsdauern sehr unterschiedlich sind. Daher kann man nur eine Schätzung der Wahrscheinlichkeit gewinnen, länger zu leben und eine Absicherung, ob diese Wahrscheinlichkeit mehr ist als eine Zufallsschwankung.)
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