Immer, wenn ich mich wieder mit den Corona-Daten beschäftige, komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wie sehr sich die offiziellen Verlautbarungen unserer Exekutive und der nüchterne Blick auf die Daten unterscheiden. Wenn ich Daten sage, meine ich nicht die „Zahlen“, oder „Inzidenzen“. Zunächst hierzu:
Die Test-Malaise: Die tatsächliche Prävalenz von SARS-CoV2 ist niedrig und daher die Gefahr falsch Positiver hoch
Ich hatte schon einmal auf die sehr hilfreichen Berichte der Statistik-Arbeitsgruppe der LMU München verwiesen. Alle zwei Wochen veröffentlicht sie ihre Erkenntnisse in einem neuen Bericht; der letzte ist hier. Dort kann man nachlesen, wie gefährlich es ist, sich auf die durch PCR-Tests ermittelte Inzidenz zu verlassen. Diese hängt nicht nur davon ab, wie hoch die wirkliche Inzidenz, also das Vorkommen von Infektionen in der Bevölkerung ist, sondern von vielen anderen Faktoren. U.a. auch von veränderten Teststrategien: Je mehr getestet wird, umso mehr Fälle findet man. Eine Publikation des Netzwerks „Evidence Based Medicine“, dem man nun wirklich keine Nähe zu irgendwelchen Verschwörungstheoretikern vorwerfen kann, hat unlängst klar gemacht, dass das blinde Testen ohne eine zugrundeliegende Strategie und ohne klinischen Anlass fatale Fehler erzeugt, vor allem dann, wenn die wirkliche Inzidenz der Infektion niedrig ist. [1]
Denn wenn die Spezifität und die Sensitivität eines Tests, also die Fähigkeit die echt Kranken von den nicht wirklich Infizierten sauber zu trennen, nicht perfekt ist, dann entstehen Fehler. Diese Fehler sind umso größer, je geringer die Prävalenz, also das Vorkommen einer Infektion, in der Bevölkerung ist. Das Dumme ist, dass wir seit Anfang der Pandemie keine sauberen Prävalenz-Daten haben, weil das RKI es versäumt hat, eine wirklich repräsentative Erhebung zu organisieren.
Genauer gesagt: wir hätten sie eigentlich, das hatte ich auch schon öfter gesagt, nämlich im Grippe-Web des RKI. Wer auf diese Seite geht, sieht eine repräsentative (!) Landkarte des Geschehens von Atemwegsinfektionen in Deutschland, und das ist es, was eigentlich klinisch interessiert. Hier ist keine Auffälligkeit erkennbar. Aber diese Daten werden aus völlig unverständlichen Gründen nicht breit kommuniziert und vor allem nicht verwendet, jedenfalls nicht für mich erkennbar. Auf dieser Seite – sehr gut versteckt – befindet sich auch ein Knopf „Download des Berichtes“, der zu den Wochenberichten führt (hier direkt verlinkt ist 2021-11). Dort sieht man: Über die letzten Wochen waren 31% aller eingesandten 3.288 Proben positiv mit irgendeinem Virusnachweis. 7,5% davon waren SARS-CoV positiv. Der Rest geht auf andere Viren zurück, interessanterweise ist die Grippe scheinbar ausgestorben. Denn Grippeviren sind da keine zu finden.
Das Wichtige daran: Dies ist tatsächlich repräsentativ. Dies sind nur klinisch auffällige Patienten, also solche, die wegen Symptomen zum Arzt kommen; selbst bei diesen sind weniger als 10% SARS-CoV2 positiv. Das heißt, anders herum, dass die Prävalenz dieser Infektion in der Gesamtbevölkerung sehr niedrig ist. Die besten Schätzungen liefern meiner Ansicht nach noch die großen Impfstudien in der Placebogruppe. Denn dort werden Leute systematisch dokumentiert. Ich zeige unten in Tabelle 1 einige Studien, zu denen ich noch komme. Aus diesen Daten kann man erkennen, dass die Prävalenz der CoV2 Infektion in der Bevölkerung zwischen 0,01 und 1% (in Israel, also maximal) liegen dürfte. Die Datenbasis, die Frau Lühmann [1] für ihr Rechenbeispiel verwendet, nämlich eine allgemeine Prävalenz von 0,05% dürfte also ziemlich gut geschätzt sein.
Wir haben nun drei sich gleichsam potenzierende Fehlerquellen bei der Einschätzung der „Inzidenz“:
- Der PCR-Test ist nicht sehr gut. Unter Alltagsbedingungen liegt seine Sensitivität, also die Fähigkeit die wirklich Kranken zu erkennen, bei etwa 70%, und seine Spezifität, also seine Fähigkeit die Nicht-Infizierten von diesen zu trennen und sie auch als nicht-infiziert, also als Testnegative zu bezeichnen, bei 95% [2].
- Die Prävalenz der SARS-CoV2 Infektion in einer symptomlosen Allgemeinbevölkerung ist sehr niedrig.
- Der Test ist eigentlich so ausgelegt, dass er allenfalls bei symptomatisch Kranken differenzieren kann, ob wir es mit einer CoV2-Infektion zu tun haben oder nicht. Denn er wird mit einer hohen Zyklenzahl geführt (ca. 37 derzeit in Deutschland), und wir wissen aus einer Reihe von Validierungsstudien, dass er bis max. 22 Zyklen Kranke und Infektiöse erkennt [3], darüber hinaus erfasst er nur noch DNA-Schrott d.h. er ist hyperempfindlich.
Buchstabieren wir das Beispiel von Frau Lühmann durch. Wir nehmen an, ein Test wird einfach so gemacht, in einer symptomfreien Allgemeinbevölkerung, die ohne einen klinischen Anlass getestet wird, z.B. bei Schülern, Lehrern, Urlaubern, Grenzgängern. Dann sind bei der derzeitigen Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung von 100.000 Menschen 50 infiziert. Von diesen erkennt der Test richtig 35 und übersieht 15 (Sensitivität 70%: 50*70/100 = 35). Von diesen 100.000 Menschen sind 99.950 nicht infiziert. Von diesen würde der Test 4.997 fälschlicherweise als „krank“ oder „test-positiv“ deklarieren und die restlichen als richtig negativ (Spezifität 95%: 99.950 – 99.950*95/100= 4.997). Der positive prädiktive Wert, also die Wahrscheinlichkeit, bei einem positiven Testergebnis unter der gesuchten Infektion zu leiden, ist in diesem derzeit durchaus realistischen Szenario 0,7% (das errechnet sich aus den echt Positiven/alle Positiven – also 35/(35 + 4997)*100 = 35 / 5032*100 = 0,69%).
Daher ist anlassloses Testen nicht nur töricht, es ist politisch gefährlich, weil es die vermeintlichen Inzidenzzahlen unnötig aufbläht. Nicht umsonst hat die WHO dazu geraten, erstens nur Menschen zu testen, die klinisch krank sind und zweitens bei jedem positiven Test noch eine zweite Validierungsstrategie hinzuzuziehen.
Daher hat die Arbeitsgruppe von Prof. Kauermann und Prof. Küchenhoff vorgeschlagen, vor allem klinisch relevanten Indikatoren zu verwenden: die Belegung der Intensivbetten, die Anzahl der Hospitalisierten. Das würde Sinn machen. Täte man dies, so würde man erkennen, wie der letzte CODAG-Bericht zeigt: die Belegung der Intensivbetten geht zurück, die Zahl der Hospitalisierungen stagniert und die Sterblichkeit geht zurück. Ich empfehle allen die Lektüre dieses Berichts. Die dort publizierten Grafiken sprechen für sich.
Sie zeigen auch: Derzeit ist vor allem eine Untersterblichkeit zu beobachten. Die „Welle“, die jetzt alle erkennen wollen, ist vor allem eine Welle der Testpositiven, ob sie sich in eine Welle der Kranken, der Hospitalisierten und Sterbenden verwandelt ist nicht leicht zu sagen, weil wir es aus meiner Sicht versäumt haben, saubere, repräsentative, longitudinale Kohortenstudien aufzubauen, die uns solche Schlussfolgerungen ermöglichen.
Ich höre schon den Aufschrei: Ja aber wir wissen doch, dass bei so vielen Testpositiven, so viele ins Krankenhaus müssen, auf die Intensivstation und dann sterben. Nein, das wissen wir genau nicht. Denn diejenigen, die da seit Anfang der Cov2-Epidemie getestet werden, setzen sich aus allen möglichen Leuten zusammen. Aus Kranken, die mehrfach getestet wurden, aus Neugierigen, die es einfach mal wissen wollten. Aus Reisenden, die es wissen mussten, aus Arbeitnehmern, denen der Arbeitgeber was vorgeschrieben hat, etc. Eine systematische Kohortenstudie wäre eine repräsentative Gruppe, die systematisch weiterverfolgt wird bis zum Endpunkt: Genesung oder Tod.
Was sagt uns eine systematisch dokumentierte Kohorte? Die Prävalenz von CoV2 in den Kontrollarmen von Impfstudien
Die beste Einschätzung dafür liefern uns noch die großen Impfstudien. Denn die sind die einzigen, die eine große definierte Kohorte von Menschen über längere Zeit untersucht und dokumentiert haben. Daher habe ich mir einige dieser Studien angesehen und trage die Daten in den Tabellen unten zusammen.
Dabei ist vor allem eine kürzlich publizierte israelische Studie hochinteressant (Tabelle 1) [4]. Denn sie verglich eine Kohorte von etwa einer halben Million Menschen, die mit dem Impfstoff von BioNTech und Pfizer geimpft worden waren mit einer halben Million Menschen, die noch nicht geimpft waren und über einen vergleichbaren Zeitraum dokumentiert worden sind. Die Studie nutzte ein naturalistisches Untersuchungsmodell. Das heißt, die Menschen wurden nicht gleichzeitig per Zufall auf die Gruppen aufgeteilt, wie das bei randomisierten, klinischen Studien der Fall ist, sondern es wurden natürliche Gruppen von Geimpften und Nicht-Geimpften verglichen. Die Autoren führten in einer sog. Matching-Prozedur eine Auswahl der Teilnehmer durch, so dass sie maximal gut vergleichbar waren und die Daten, die sie vorlegen, sprechen dafür, dass ihnen das gelungen ist.
Das erste Datum, das bei dieser Studie auffällt, ist die durchwegs niedrige Prävalenz. Anfangs waren definitionsgemäß alle Personen negativ, denn andere wurden gar nicht aufgenommen. Nach 7 Tagen hatten 0,39% (2.362 von der Kohorte von etwas mehr als einer halben Million Menschen) einen positiven CoV2 Test. Die erste Spalte von Tabelle 1 gibt die Entwicklung der SARS-CoV2 Infektion bei dieser ungeimpften Gruppe wieder.
Wir sehen, dass nach 6 Wochen von allen Personen 0,6% klinisch symptomatisch wurden, 0,04% ins Krankenhaus kamen, 0,03% eine schwere Covid-19 Erkrankung entwickelten und 5 von 100.000 starben. Wir sehen an diesem Datensatz, dass die Meinung, die der Panik zugrunde liegt, dass die meisten, die „positiv“ sind krank werden und viele davon sterben, einfach falsch ist. Da die Gruppe der Nichtgeimpften diejenigen waren, die gerade auf die Impfung in Israel warten, dürfte es sich um eine gute repräsentative Stichprobe handeln, so repräsentativ, wie man sie derzeit bekommen kann. Die Nachbeobachtung ist mit 6 Wochen wahrscheinlich zu kurz, um zu völlig schlüssigen Ergebnissen zu kommen.
Aber eine interessante Sache fällt auf:
Nimmt man die Letalitätsrate dieser Studie von 53 Menschen pro 1 Million Einwohner, dann müsste man, wenn in Deutschland alle infiziert worden wären eine Todesfallzahl von ca. 4.500 in 6 Wochen oder etwa 40.000 in einem Jahr zu erwarten. Lt. Worldometer haben wir derzeit in Deutschland knapp 77.000 Todesfälle aufgrund von Covid-19 seit Beginn der Krise zu beklagen. Die etwa 37.000 Todesfälle, die wir also mehr haben als erwartet, dürften durch die Tatsache erklärbar sein, dass die Krise schon ein Viertel Jahr länger geht als ein Jahr und dass die israelische Studie vermutlich etwas altersverzerrt ist, aber ansonsten passen die Daten gut zusammen.
Folgt man den Daten, die Ioannidis kürzlich publiziert hat [5], dann ist die israelische Zahl von 53 Todesfällen pro 1 Mio Einwohner durchaus im Rahmen dessen, was in unterschiedlichen europäischen Ländern an Todesfällen bei unter 65-Jährigen zu erwarten ist, nämlich irgendetwas zwischen 5 und 86 pro 1 Mio. Einwohner. Für Deutschland findet Ioannidis eine Mortalität von 1 Person pro Tausend, oder 1.000 pro eine Million Einwohner bei den über 80-Jährigen.
Auch das Leben der Alten ist wertvoll; ich gehöre selbst ja bald dazu. Aber man sollte den nüchternen Blick nicht verlieren: Das Leben war immer schon begrenzt. Man könnte noch hinzufügen: …und das ist gut so. Denn wäre dem nicht so, dann wären Entscheidungen wertlos, Beliebigkeit wäre an der Tagesordnung und die Sinnhaftigkeit unseres Tuns stünde in Frage. Erst die Endlichkeit verleiht unserem Leben wirklich Würde, Ziel und Richtung. Daher ist das krampfhafte Aufschieben des Todes um jeden Preis aus meiner Sicht sowieso eine kulturell-wissenschaftliche Verirrung, über die man einmal gesondert und sehr laut nachdenken sollte. Aber hier, in der Corona-Krise, wird diese Verirrung besonders deutlich sichtbar. Denn wir nehmen, um es einmal ganz krass zu sagen, ein ganzes Land in Geiselhaft, um den Tod vergleichsweise weniger Menschen um eine kurze Zeitspanne zu verschieben. Wir tun dies außerdem, ohne diese Menschen zu fragen, ob ihnen das überhaupt recht ist.
Natürlich trifft es auch einige Junge, das ist immer so, wenn eine Infektion grassiert, auch bei der Grippe. Aber man muss den Blick klar halten. Wir sehen, dass die Zahl der Infizierten sich in keiner Weise 1:1 in eine Zahl von Kranken, klinisch Belasteten, solchen die das Krankenhaussystem belasten und letztendlich in Todesfälle übersetzt.
Daher wäre aus meiner Sicht das Vernünftigste, diese Zahlenjonglage mit völlig nichtssagenden „Inzidenz“-Zahlen bleiben zu lassen und politische Entscheidungen mit klugen statistischen Modellen und harten Indikatoren zu fundieren: aus Bettenbelegung, Intensivstationsbelegung und z.B. eben auch aus dem repräsentativen Befund aus dem Grippe-Web über die Verbreitung der SARS-CoV2.
Ich kann bei den politisch Handelnden immer noch sehr wenig Vernunft und sehr viel Panik und noch mehr wissenschaftliche Leichtgläubigkeit erkennen, die sich nicht breit und über unterschiedliche Kanäle informiert, sondern vor allem dem Mainstreamnarrativ vom Killervirus folgt, den es um jeden Preis abzuhalten gilt. Man fragt sich: Warum? Ich frage mich manchmal auch: cui bono? Wem nützt es?
Dieses Narrativ ist in seiner Einseitigkeit aus meiner Sicht eindeutig falsch. Es ist kein Killervirus sondern ein durchaus für einzelne Gruppen gefährliches Virus. Diese Gruppen müssen besonders geschützt werden. Vernünftig und gezielt, nicht pauschal und durch blinde Aktionen, deren Wirksamkeit alles andere als belegt und deren Nutzen sehr marginal ist.
Impfungen – Effektgrößen, Nutzen und Nebenwirkungen
Aber wir haben ja jetzt, Gottseidank, die Impfung. Es hieß ja mal: „die Pandemie ist vorbei, wenn wir einen Impfstoff haben“. Jetzt haben wir einen Impfstoff, sogar fünf oder mehr, und die Pandemie ist trotzdem nicht vorbei. Warum? Weil noch nicht alle geimpft sind?
Ich glaube, das liegt an dem Punkt, den wir oben schon beleuchtet haben: Die Infektion hat eine solch niedrige Prävalenz, dass man extrem viele Menschen impfen muss, um überhaupt einen Effekt zu sehen. Damit steigt aber auch das Risiko, bisher noch nicht entdeckte Nebenwirkungen zu erzeugen. Das sind die Kosten der Impfung, die wir nicht kennen, da sie nicht untersucht sind.
Tabelle 1 – Verläufe von Stadien einer CoV2 Infektion bis hin zu Tod in einer systematischen Kohortenstudie
Daten lt. [4] | CoV2 positiv nach 7 Tagen Gesamt N je Gruppe: 596.518 | CoV2+ n 42 Tagen | Symptomatisch n 42 Tagen | Hospitalisation n 42 Tagen | Schweres Covid19 n 42 Tagen | Tod durch Covid19 n 42 Tagen |
Ungeimpft | 2.362 (0,39%) | 6.100 (1,02%) | 3.607 (0,6%) | 259 (0,04%) | 174 (0,029%) | 32 (53/1.000.00) |
Geimpft | 1.965 (0,33%) | 4.460 (0,75%) | 2.389 (0,4%) | 110 (0,02%) | 55 (0,009%) | 9 (13/1.000.000) |
Tabelle 2: Einige wichtige Kennziffern aus den großen Impfstudien des Impfstoffes von Moderna, BioNTech/Pfizer und Sputnik (der Oxford Advax/AstraZeneca Impfstoff ist in dieser Tabelle nicht aufgeführt, weil die Daten anders berichtet sind und die Studie nicht placebo-kontrolliert war, sondern gegen einen anderen Impfstoff getestet wurde)
Impfstoff | Anzahl Teilnehmer Impfstoff | Anzahl Teilnehmer Placebo | CoV2 positiv anfangs* Impfstoff | CoV2 positiv Ende Impfstoff | CoV2 positiv Anfangs* Placebo | CoV2 positiv Ende Placebo | Absolute Risiko Redukion (ARR) | Number Needed to Vaccinate 1/ARR |
Moderna [6] | 15.181 (14.550) | 15.170 (14.598) | 5 (0,03%) | 19 (0,13%) | 11 (0,07%) | 269 (1,8%) | 0,018-0,0013= 0,0167 | 59,8 |
BioNTech Pfizer [4] | 596.518 | 596.518 | 1.965 (0,32%) | 4.460 (0,75%) | 2.362 (0,39%) | 6.100 (1,0%) | 0,01-0,0075= 0,0025 | 400 |
BioNTech Pfizer [7] | 18.860 | 18.846 | 8 (0,04%) | 162 (0,85%) | 0,0085-0,0004= 0,0081 | 123 | ||
Sputnik [8] | 14.964 | 4.902 | 13 (0,09%)** | 47 (1%)** | 0,01-0,0009 = 0,0091 | 110 |
Die „Number Needed to Vaccinate” oder die niedrige Effektgrösse und die hohe Zahl der zu Impfenden
Sehen wir uns Tabelle 2 an. Dort habe ich einige Daten aus den großen Impfstudien zusammengetragen, konkret von der Phase 3 Studie von Moderna [6], der Zulassungsstudie des BioNTech Impfstoffes, den Pfizer vermarktet [7], einer großen Post-Marketing Surveillance Studie dieses Impfstoffes in Israel, die wir oben schon kurz besprochen hatten [4], sowie des russischen Sputnik-Impfstoffes [8]. Den Oxford-Vektor Impfstoff, den AstraZeneca produziert, habe ich weggelassen, weil die Zulassungsstudie nicht mit Placebo, sondern mit einem anderen Impfstoff als Kontrolle gemacht wurde. Die Zulassungsstudien sind alle umfänglich und haben so an die 30.000 Patienten untersucht. Das klingt zunächst nach viel. Die hohe Zahl zeigt uns allerdings zweierlei: Die Studienplaner haben damit gerechnet, dass sie nicht sonderlich viele Fälle finden würden, weswegen sie auch viele Menschen impfen mussten. Denn wäre die Infektion sehr weit verbreitet, hätten sie mit viel weniger Impfungen einen statistisch signifikanten Effekt zeigen können. Das ist die Frage der Wirksamkeit bzw. der statistischen Mächtigkeit der Untersuchung, die nicht nur abhängt von der absoluten Wirksamkeit des Impfstoffes, sondern auch davon, wie häufig das interessierende Vorkommnis, eine Infektion, die man verhindern will, in der Bevölkerung ist. Sie ist selten, daher braucht man viele Leute, um einen Effekt zu sehen.
Das andere ist die Frage der Sicherheit. Zumindest anfängliche Sicherheitsbedenken kann man mit Studien dieser Größenordnung ausräumen. Denn unerwünschte Wirkungen die relativ häufig sind, kann man mit solchen Studien sehen. Solche die bei einem von vielleicht 10.000 Betroffenen vorkommen übersieht man mit solchen Studien tendenziell sehr leicht und solche, die noch seltener aber sehr schwerwiegend sind, kann man mit derartigen Studien überhaupt nicht sehen.
Nun sehen wir uns die Wirksamkeit an. In der öffentlichen Diskussion wird immer von der „Impfeffektivität“ oder von der „Effektivität“ der Impfstoffe gesprochen. Das ist eine sehr irreführende Bezeichnung. Denn sie meint die relative Wirksamkeit.
Gehen wir zur Illustration zur Wirksamkeitsstudie des BioNTech Impfstoffes, die ich in Spalte 3 von Tabelle 2 abgebildet habe. Am Ende der Untersuchung waren 8 von 18.860 Geimpften CoV2 positiv oder 0,04%, während 162 der 18.846 Placebogeimpften oder 0,85% CoV2 positiv war. Das ist eine Impfeffektivität von 95%. (Das Risiko der Ungeimpften beträgt 0,0088, das Risiko der Geimpften 0,0004. Das Verhältnis der beiden Risiken [0,0004/0,0088] beträgt 0,045. 1-0,045 = 0,95, die Impfeffektivität.). Das hört sich sehr gut an und ist auch gut, denn offenbar haben die Geimpften ein erheblich geringeres Risiko, nämlich um den Faktor 22 geringer, an CoV2 zu erkranken, als die Nichtgeimpften.
Wir dürfen uns aber nie nur die relativen Verhältniszahlen ansehen, sondern müssen unbedingt auch die absolute Risikoreduktion (ARR) im Blick haben. Sie errechnet sich aus der Differenz der Risiken und ist mit 0,0081 sehr gering, eben weil die Prävalenz der Infektion so niedrig ist. Das würde bedeuten: eine geimpfte Person hat eine Risikoreduktion von weniger als 1%, nämlich 0,8% gegenüber einer ungeimpften Person.
Man kann den Kehrwert berechnen, aus 1/ARR und erhält die Anzahl der Menschen, die geimpft werden müssen, damit ein Fall verhindert wird. Das ist ein klinisches Effektstärkemaß. Diese Rechnung habe ich in der letzten Spalte von Tabelle 2 gemacht. Man sieht, dass die Zahlen schwanken. Im guten Fall von Moderna muss man etwa 60 Menschen impfen, um einen testpositiven Fall zu verhindern. Wenn es dumm kommt, wie in der großen Feldstudie des BioNTech Impfstoffes in Israel, muss man 400 Menschen impfen um einen Fall zu verhindern. In der Sputnik-Zulassungsstudie waren es 110 Geimpfte, um einen Fall zu verhindern. Diese „Number Needed to Vaccinate (NNTV)“ wurde von Cunningham aufgrund einer anderen Zulassungsstudie auf 256 berechnet [9].
Das bedeutet praktisch: Man muss also irgendetwas zwischen 100 und 400 Menschen impfen, nehmen wir einmal Cunninghams Berechnungen als einen robusten Wert in der Mitte und sagen 250. Damit verhindern wir einen klinischen Fall von symptomatischem und testpositivem Covid-19.
Wir verwenden nun die Schätzung aus der israelischen Kohortenstudie, bei der 1,3% der anfangs Infizierten gestorben sind (32 von 2362; Zeile 1 in Tabelle 1). Die Schätzungen der Infection Fatality Rate (IFR) von Ioannidis aufgrund vieler Studien ist wesentlich niedriger und beträgt 0,04% bei den unter 70 Jährigen [10]. Wir müssen also die NNTV mit dem Faktor 100 multiplizieren, um eine Infection Fatality Rate von etwa 1% abzubilden und mit dem Faktor 40.000 um eine IFR von 0,04% abzubilden. Das wären also 25.000 Impfungen im schlechtesten Fall um einen Todesfall zu verhindern und 10 Millionen Impfungen im besten Falle bei einer IFR von 0,04%. Nochmals:
Das klingt zunächst nicht sonderlich problematisch. Dann impfen wir halt alle. Das ist ja auch die momentane Politik. Allerdings übersieht diese Haltung eine wichtige Größe: Wir kennen die Kosten dieser Politik nicht. Denn die Impfstudien und die Zulassung der Impfungen gegen Covid-19 erfolgte in einem noch nie dagewesenen Schnellverfahren, das man bewundern kann, wenn man ein Fan von medizinischen Innovationen ist, oder das man sehr kritisch sehen kann, wenn man mit etwas historischem Bewusstsein an die Sache geht und daran denkt, wie oft schon Schnellschüsse medizinischer Art in die Hose gegangen sind. Denn alle Covid-19-Impfstoffe kamen auf den Markt, ohne dass die entsprechenden Sicherheitsdaten vorlagen, die normalerweise gefordert werden. Manche Sicherheitsanalysen sind oft auch erst nachträglich möglich, wenn genügend Daten vorliegen. Clemens Arvay hat in einem sehr lesenswerten Buch auf die Problematik hingewiesen und kommt zu dem Schluss, dass wir im Moment Roulette spielen: wir haben eine 50:50-Chance, dass das Spiel gut ausgeht und wir mit dieser Strategie Leben retten anstatt sie zu gefährden [11].
Die Nebenwirkungen
Was sind die Kosten? Wir kennen sie nicht. Denn wir kennen im Moment die Gefahr von Nebenwirkungen und ernsten Impfreaktionen nicht. Aber Nebenwirkungen, vor allem ernste, sind wichtige Kosten. Ich habe mir die Daten einmal angesehen und sie in der unten stehenden Grafik abgebildet. Dazu habe ich die Eudract-Datenbank der berichteten Nebenwirkungen der drei wichtigsten in der EU zugelassenen Impfstoffe verwendet, und stelle zum Vergleich die Daten einiger wichtiger anderer Impfstoffe dar – zwei Grippe- und einen Masernimpfstoff. Ich habe die Anzahl der Nebenwirkungen standardisiert auf die Anzahl der verimpften Dosen. Letzteres findet man für Covid-19 auf der Seite des European Center for Disease Prevention and Control. Für die anderen Impfstoffe habe ich Schätzungen verwendet: eine kumulative Anzahl von 300 Millionen Impfdosen für Masern-Mumps-Röteln, was einer Abdeckung von ca. 65% in Europa entspricht; 200 Millionen Impfdosen für die klassische Grippeimpfung, was einer Abdeckung von ca. 50% entspricht; 20 Millionen für die neue nasale Grippeimpfung, was einer Abdeckung von ca. 5% entspricht und insgesamt ungefähr die Angaben widerspiegelt, die man bei der WHO und auf der ECDC-Seite wiederfindet. Wenn die Abdeckung höher wäre, wären die von diesen Impfstoffen berichteten standardisierten Nebenwirkungen noch niedriger. (Um die Datenbank der EMA zu finden, geht man von http://www.adrreports.eu/en/index.html zum Link im Banner, dann zum Buchstaben C und von dort zu „Covid19“).
Die Grafik zeigt also die Anzahl der Nebenwirkungen, standardisiert auf 100.000 Impfungen zum Zeitpunkt jetzt, 3.4.2021, verglichen mit der Anzahl der standardisierten Nebenwirkungen dreier Vergleichsimpfstoffe: Masern-Mumps-Röteln (MMR), Grippe (klassisch) und Grippe (neu).
Man sieht relativ leicht, dass die Anzahl der gemeldeten Nebenwirkungen, standardisiert auf 100.000 Impfungen, um den Faktor 10 bis 60 höher ist, als bei den klassischen Impfstoffen. Bei den klassischen Impfstoffen für Grippe und Masern-Mumps-Röteln liegen die standardisierten Nebenwirkungen bei etwa 10-12 pro 100.000 Geimpften. Bei den Covid-19 Impfungen sind sie 139 (Moderna) bis 658 (AstraZeneca) pro 100.000. Die Daten der klassischen Impfstoffe sind etwas unsicher, weil ich die Standardisierung geschätzt habe. Aber die Schätzung ist eher konservativ. Falls mehr davon verimpft worden ist, sind die standardisierten Nebenwirkungen noch niedriger. Falls ich sie überschätzt habe, sind sie etwas höher, aber auf jeden Fall deutlich niedriger als die Nebenwirkungen der neuen Impfstoffe.
Leider lassen sich die Daten der Eudract-Datenbank nicht auch noch nach Schwere numerisch aufgliedern. Aber man kann sie sich auf der Webseite selber gut ansehen: Man muss auf den Auswahlreiter „Number of individual cases by reaction group“ gehen und kann dann noch einen Reiter „by seriousness“ aktivieren. Tut man dies, dann sieht man: bei den meisten Impfstoffen ist ungefähr die Hälfte aller angegebenen Nebenwirkungstypen „ernst“, also „serious“. Wir können folglich davon ausgehen, dass bei dem AstraZeneca Impfstoff, der den Oxford Vektorimpfstoff transportiert, etwa 300 ernste Nebenwirkungen pro 100.000 Impfungen, beim Pfizer Produkt mit dem BioNtech mRNA-Impfstoff etwa 100 ernste Nebenwirkungen pro 100.000 Impfungen und beim Moderna mRNA Impfstoff etwa 60 ernste Nebenwirkungen pro 100.000 Impfungen zu erwarten sind. Das ist auch der Grund, weswegen jüngst eine Gruppe von Ärzten und Wissenschaftlern die EMA zu einem Moratorium aufgefordert hat, bis die Sicherheit der Impfstoffe und die Berichte über sich häufende Todesfälle geklärt sind.
Nochmals zurück zu unserer Rechnung. Wir müssen also, im besten Fall, um einen Todesfall zu verhüten, 240 bis 1.200 ernste Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Im schlechtesten Fall sind es 60.000 bis 300.000 Nebenwirkungen, die wir in Kauf nehmen, die Hälfte davon werden schwere sein. Nicht in diese Rechnung eingepreist sind die Dunkelziffern. Denn Nebenwirkungsmeldungen bei Impfungen sind notorisch unzuverlässig.
Wir dürfen bei all dem nicht vergessen: Viele der Menschen, die da geimpft werden und möglicherweise ernste Nebenwirkungen davontragen, wären nicht unbedingt an dem Virus erkrankt. Eine Impfung ist immer noch, juristisch gesehen, eine Körperverletzung, zwar im Idealfall mit Einverständnis des Beteiligten, aber immerhin. Es ist sehr bedenklich, dass diese Seite der Medaille komplett unbeachtet bleibt.
Die Analysen von Wouter Aukema
Inzwischen haben ich noch vier Auswertungsgrafiken des holländischen Datenanalytikers Wouter Aukema erhalten. Er erlaubt allen, denen er sie geschickt hat, sie zu publizieren. Wouter Aukema ist ein Datenanalytiker; auf das von ihm entwickelte Bayes-Tool hatte ich in meinem letzten Blog-Beitrag hingewiesen [12]. Er hat sich alle individuellen Sicherheitsberichte der Eudract-Nebenwirkungsdatenbank angesehen (ich hatte auch einen Moment lang überlegt, das zu tun, habe aber gemerkt, dass ich damit mindestens eine Woche oder länger beschäftigt wäre; nun bin ich froh: ein Spezialist hat es getan!). Die Ergebnisse sind in den vier Abbildungen unten wiedergegeben. Sie sind eigentlich selbsterklärend.
Diese drei Abbildungen signalisieren die Kosten. Im Unterschied zu meiner Analyse, gehen diese Analysen auf die individuellen Sicherheitsberichte zurück und nicht nur auf die summarischen Statistiken und können daher sowohl den Schweregrad – von Tod bis Genesen – repräsentieren, als auch die Menge und den Typ (Abbildung 3). In meiner Abbildung sieht man: es sind vergleichsweise viele Nebenwirkungen. Aus den Abbildungen von Wouter Aukema (Abb. 2 – 4) läßt sich ablesen: es sind auch einige Todesfälle darunter. Diese müsste man numerisch gegen die durch Impfungen verhinderten Todesfälle ins Feld führen, um zu überlegen, ob die Kostenrechnung aufgeht. Ich finde, wenn man, wie man das Abb. 4 entnehmen kann, bei Kindern zwischen 2 Monaten und 2 Jahren schwere Nebenwirkungen findet, sogar Todesfälle, wenn insgesamt 21% der Nebenwirkungen bei den Älteren Todesfälle sind, dann sollte man nochmals sehr sorgfältig nachdenken, bevor man ins allgemein Euphoriehorn bläst und gar diejenigen, die skeptisch oder zögerlich sind, als Gefährder des Gemeinwohls bezeichnet, wie ich es neulich als Schlagzeile irgendwo gesehen habe.
Fazit
Ich finde, unsere Medienschaffenden, unsere Politiker, vor allem alle, die im Public Health Sektor arbeiten, sollten sich diese Zahlen zu Gemüte führen und sich überlegen:
Ist es wirklich wahr, dass wir es mit einem Killervirus zu tun haben, der uns keine andere Wahl lässt? Daher wäre meine Aufforderung: Schauen wir uns alle, ich betone alle (!!), Daten sehr genau an, bevor wir wie die Lemminge in eine Richtung rennen.
Quellen und Literatur
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