Bröckelnde Mythen: Fett und Salz – Gott erhalt’s

Ein neuer Sargnagel für die Cholesterin-Hypothese der koronaren Herzkrankheit – geschmiedet vom kanadischen Epidemiologen Salim Yusuf

Ich hatte in früheren Beiträgen – dem längeren zweiteiligen Beitrag von „Bröckelnde Mythen“ (inkl. Erwähnung des Buches von Nina Teicholz), sowie in einer Besprechung des neuen Buches von Rosch (www.thincs.org) [1] – bereits darauf hingewiesen, wie schwach das Fundament ist, auf dem unsere allseits als so sicher transportierte Meinung ruht, dass „Cholesterin schlecht fürs Herz“ sei und daher eine Reduktion des Fettkonsums, vor allem der gesättigten Fettsäuren tierischen Ursprungs, förderlich für die Gesundheit sei.

Hier nun ein neuer Sargnagel für die Cholesterinhypothese als Ursache der koronaren Herzkrankheit. Er stammt von Salim Yusuf, einem weltbekannten Epidemiologen aus Kanada. Er ist der Leiter der vielleicht wichtigsten derzeit laufenden epidemiologischen Studie, der sogenannten PURE-Studie (kurz für „prospective urbran-rural epidemiologic study“; www.phri.ca/pure).[2] Diese Studie dokumentiert 225.000 Menschen – und das ist das spezielle – aus unterschiedlichen Regionen der Erde, sowohl aus ländlichen als auch aus städtischen Lebensräumen über 12 Jahre.

Für die ganz eiligen Leser: er dokumentiert in einem Vortrag, das vom diesjährigen „Cardiology update“ aus Davos stammt (programme.cardiologyupdate.ch/sunday), neben bereits publizierten Befunden vor allem die neuesten Befunde zu Cholesterin und Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit: Es gibt keinen Zusammenhang, überhaupt keinen, zwischen dem Konsum von tierischen Fetten bzw. Cholesterin, dem sog. „bösen“ LDL-Cholesterin oder dem „guten“ HDL-Cholesterin, und koronarer Herzkrankheit und kardiovaskulärer Mortalität. Auch das Essen von Früchten und Gemüsen hat laut dieser Studie wenig Einfluss. Und der Salzkonsum ist nur für Patienten mit hohem Blutdruck ein Problem aber auch hier erst ab ca. 7g pro Tag, anders als das die momentan von der WHO dekretierte 2g-Grenze vermuten lässt.

Die PURE-Studie ist deswegen interessant, weil sie die häufig bei uns als so selbstverständlich akzeptierte Verzerrung aller Ergebnisse auf eine Population von westlich orientierten Städtern etwas relativiert. Die Studie beobachtet nämlich relativ repräsentativ Menschen aus allen Erdteilen und ökonomischen Schichten, sowie aus ländlichen und städtischen Regionen. Das ist mit 225.000 Menschen, die 12 Jahre lang dokumentiert werden, vermutlich sogar zu schaffen. Menschen aus Kanada, Schweden und den Vereinigten Arabischen Emiraten bilden dabei die reicheren Schichten der Weltbevölkerung ab. Polen, Argentinien, Chile, Brasilien, Malaysia, Südafrika und die Türkei repräsentieren die Länder mit höherem mittleren Einkommen. China, Iran und Kolumbien stehen für Länder mit niedrigerem Einkommen im mittleren Bereich und Bangladesch, Indien, Pakistan und Zimbabwe stehen für arme Länder. Man könnte argumentieren, dass Afrika mit nur zwei Ländern eher schlecht repräsentiert ist, aber ansonsten bildet die Studie Weltregionen und ökonomische Situationen sehr gut ab.

Ein Ergebnis, das Yusuf in seinem Vortrag gegen Ende erwähnte und das nicht weiter verwunderlich ist, ist die Tatsache, dass Menschen in armen Ländern sehr viel mehr von ihrem Geld für Nahrung ausgeben müssen als in reichen Ländern. Während 2 mal Früchte oder Gemüse essen am Tag in den reichen Ländern 2% des Haushaltseinkommens verbraucht, sind es in den armen Ländern 52%, weswegen dort auch weniger Früchte gegessen werden [3]. Dennoch scheint der Einfluss von Gemüsen und Früchten auf kardiovaskuläre Mortalität in dieser Studie gering.

Das Video vom Vortrag war nur kurz und ohne Prof. Yusufs Erlaubnis vom Zürich Heart House auf Youtube eingestellt gestellt worden und ist nicht mehr verfügbar. Es wurde umgehend eine Erklärung publiziert, die erläutert warum: die Studie ist noch nicht ganz ausgewertet, die Daten waren vorläufig und sollten im Kontext anderer Daten studiert werden: www.zhh.ch/de/joint-communication. Wer Prof. Yusuf beim Vortrag sehen will, muss auf ein ebenfalls interessantes TED-Video ausweichen, bei dem er vor allem über Rauchen und die Verringerung der Mortalität durch andere Mittel spricht.



 

Der brisanteste Befund aus dem Cardio-Update aus Davos ist die Aussage aus seiner PURE-Studie, dass der Konsum von gesättigten Fettsäuren und von Cholesterin im Blut keinen großen Einfluss auf vorzeitige kardiovaskuläre Mortalität hat. Das ist eigentlich nur deswegen spektakulär, weil mittlerweile alle an den Mythos von der Gefährlichkeit gesättigter Fettsäuren und des Cholesterins glauben. Ich hatte in früheren Beiträgen darauf hingewiesen, wie es dazu kam: Ancel Keys hatte seine sog. 6-Länder Studie publiziert und mit viel PR die dort publizierte Korrelation von Verfügbarkeit gesättigter Fettsäuren und kardiovaskulärer Mortalität zum Faktum gemacht [4] und damit die sog. „diet-heart-Hypothese“ befördert, die besagt, dass koronare Herzkrankheit vor allem durch den Konsum von Fetten und dabei vor allem durch gesättigte Fettsäuren befördert wird.

Bereits 4 Jahre später und nunmehr vor 60 Jahren zeigten Statistiker, dass die Schlussfolgerungen dieser Studie falsch sind, weil sie erstens rein korrelativ und zweitens unvollständig ist. Denn die 6 Länder waren aus einer viel größeren Schar von 22 Ländern willkürlich ausgewählt worden – und zwar so, dass die Korrelation der Hypothese angeglichen wurde, und nicht umgekehrt [5]. Auf diesen Sachverhalt kommt auch Yusuf in seinem Vortrag zu sprechen und verwendet das scharfe Wort „Betrug“ für diese Studie: Ja, in der Tat, die ursprüngliche Hypothese, dass Fettkonsum zu Herzkrankheit führen könnte geht auf einen wissenschaftlichen Betrug zurück.

Dieser wurde durch mehrere Sachverhalte zementiert: zum einen war Keys einflussreich und mächtig und sorgte dafür, dass alle möglichen Meinungsgegner ihre Meinung nicht mehr lauthals vertraten. Das zeigt Teicholz in ihrem Buch sehr schön [6]. Zum anderen nutzte die Zuckerindustrie die Gunst der Stunde – ich habe das in meinem früheren Blog erwähnt – und gab Reviews in Auftrag, die die Waage stärker in Richtung Fett ausschlagen ließen und Zucker und Kohlehydrate als mögliche Problemkandidaten in den Hintergrund drängten [7, 8]. Andersdenkende wurden ausgegrenzt, Studienergebnisse die der Ursprungshypothese widersprachen ignoriert – und fertig war der neue Mythos.

Offenkundig ist der Widerstand dagegen immer noch ziemlich stark, die Tatsache zu akzeptieren, dass die wissenschaftliche Gemeinde 60 Jahre lang einen Mythos für ein Faktum gehalten hat. Das ist ja auch eine peinliche, wenn auch nicht ungewöhnliche Sache. Das erklärt auch, warum Prof. Yusuf das Video seines Vortrags entfernen ließ: Gutachter oder Editoren könnten es ihm als Vorpublikation auslegen, wenn die Daten im Netz verfügbar sind, bevor eine peer-reviewte Publikation existiert. Daher sollte auch an dieser Stelle nicht mehr über diesen Teil der Studie gesagt werden. Aber man wird in nächster Zukunft die Publikation zum Thema in der wissenschaftlichen Literatur finden – die PURE-Seite erwähnt alle relevanten Publikationen, so dass man sich selber immer wieder informieren kann. Dann werden wir in größerer Ausführlichkeit darauf eingehen.

Die Daten zu Salz und koronarer Herzkrankheit sind nicht ganz so neu, aber ebenfalls von großem Interesse. Anhand der PURE Studie zeigt Yusuf nämlich, dass die oftmals verbreitete Meinung „je weniger Salz umso besser“ falsch ist. Unterhalb von 3g Salzausscheidung am Tag erhöht sich nämlich die vorzeitige Mortalität um 27% signifikant [9]. Der sichere Bereich liegt zwischen 3g und 7 g und erst jenseits von 7 g steigt die Mortalität wieder langsam an, aber weniger stark als wie wenn zu wenig Salz konsumiert wird.

Man muss hier der Fairness halber sagen: der Salzkonsum wird in diesen Studien über die Salzausscheidung im Urin geschätzt, was nicht sehr zuverlässig ist, aber immer noch besser als wenn man die Leute fragen würde; Validierungsstudien zeigen, dass dieses Verfahren mittelmäßig valide ist; [10] jeder gute psychologische Fragebogen würde mit solchen Reliabilitätsmassen als wenig reliabel gelten, aber besser geht es eben im Moment nicht.

Jedenfalls ist der momentan häufig empfohlene Bereich von 2 g oder weniger sogar objektiv gefährlich. In einer witzigen Passage des Videos lässt Yusuf einen Befürworter der These, je weniger Salz, je besser, zu Wort kommen. Der führt die Yanomami-Indianer im Amazonas als Beispiel an, die ja bekanntlich gar kein Salz kennen. Die würden aber auch mit einer mittleren Lebenserwartung von 30 Jahren relativ früh sterben, meint Yusuf. Denn sie würden Verletzungen und Infektionen nicht überleben. Um diese zu überwinden, ist sowohl Salz als auch Fett nötig.

Das Rätsel wird gelüftet durch eine neuere Studie aus der PURE-Gruppe: nur wenn Menschen an hohem Blutdruck leiden ist hoher Salzkonsum problematisch [11]. Denn hoher Blutdruck ist ein Indikator für Salzsensitivität des Organismus. Dann sollte man den sicheren Bereich von 3 bis 7 g Salz pro Tag einhalten. Aber wer keinen hohen Blutdruck hat, dem macht auch mehr Salz nichts aus. Die Daten, die Mente in seiner Studie präsentiert [11] – sie stammen teilweise aus Interventionsstudien mit Bluthochdruckpatienten und aus der PURE Studie – zeigen, dass bei Normalpersonen ohne Bluthochdruck bis zu einem Konsum von 12 g kein Anstieg der Mortalität zu beobachten ist. Darüber hinaus wurde offenbar nicht gemessen oder gerechnet, vermutlich weil es zu wenig Daten gab.

Also weder Fett noch Salz sind die großen Killer. Dass man aus anderen, nämlich zum Beispiel ökologischen oder aber auch aus weltanschaulichen Gründen den Verzehr von Fleisch oder tierischen Produkten einschränken sollte, ist ein anderes Thema. Ornish hat darauf hingewiesen, dass die Fleischproduktion in nicht unerheblichem Ausmaß zum Ausstoss von Treibhausgasen beiträgt [12]. Ein neuer Dokumentarfilm, „Bauer unser“ porträtiert gerade das Problem unserer Agrarwirtschaft für alle Beteiligten und weist auch auf die inzwischen einigermaßen bekannte Erkenntnis hin, dass Fleischproduktion eine sehr ineffiziente Nutzung der Ackerflächen und Nahrungsreserven ist.



 

Wegen des vermeintlichen bösen Cholesterins auf Butter, Käse, Eier oder tierische Fette zu verzichten scheint dagegen nach all diesen neuen Daten nicht der Königsweg zur Gesundheit zu sein sondern allenfalls ein zuckerindustriegsponsortes Verzichts- und Bußritual. Dass der agrarwirtschaftlich finanzierte Massenkonsum von Fleisch in unseren Breiten kein guter Gegenentwurf ist macht nun die Sache nicht einfacher. Wir sind also wieder zurückgeführt auf ein paar alte Weisheiten. Eine davon stammt von einem der sieben griechischen Weisen, die ca. um 600 v. Chr. versuchten die Welt mit ihren Sprüchen zu zivilisieren. Der kürzeste und der am schwersten zu beherzigende heißt: Meden agan – nichts zuviel. Das ist vermutlich die überhaupt klügste Richtschnur im Dschungel der Ernährungsratschläge.

Quellen und Literatur:

  1. Rosch PJ (ed) Fat and Cholesterol Don’t Cause Heart Attacks and Statins are not the Solution, Cwmbran, UK, Columbus Publishing, 2016.
  2. Teo K, Chow CK, Vaz M, Rangarajan S, Yusuf S: The Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE) study: Examining the impact of societal influences on chronic noncommunicable diseases in low-, middle-, and high-income countries. American Heart Journal 2009;158:1-7.e1.
  3. Miller V, Yusuf S, Chow CK, Dehghan M, Corsi DJ, Lock K, Popkin B, Rangarajan S, Khatib R, Lear SA, Mony P, Kaur M, Mohan V, Vijayakumar K, Gupta R, Kruger A, Tsolekile L, Mohammadifard N, Rahman O, Rosengren A, Avezum A, Orlandini A, Ismail N, Lopez-Jaramillo P, Yusufali A, Karsidag K, Iqbal R, Chifamba J, Oakley SM, Ariffin F, Zatonska K, Poirier P, Wei L, Jian B, Hui C, Xu L, Xiulin B, Teo K, Mente A: Availability, affordability, and consumption of fruits and vegetables in 18 countries across income levels: findings from the Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE) study. The Lancet Global Health 2016;4:e695-e703.
  4. Keys A: Atherosclerosis: A problem in newer public health. Journal of Mount Sinai Hospital 1953;20:118-139.
  5. Yerushalmy J, Hillboe HE: Fat in the diet and mortality from heart disease. A methodologic note. New York State Journal of Medicine 1957;57:2343-2354.
  6.  Teicholz N: The Big Fat Surprise. Why Butter, Meat and Cheese Belong in a Healthy Diet. New York, Simon and Schuster, 2014.
  7. Kearns CE, Schmidt LA, Glantz SA: Sugar industry and coronary heart disease research: A historical analysis of internal industry documents. JAMA Internal Medicine 2016;176:1680-1685.
  8. Nestle M: Corporate funding of food and nutrition research: science or marketing? JAMA Internal Medicine 2016;176:1685-1686.
  9. O’Donnell M, Mente A, Rangarajan S, McQueen MJ, Wang X, Liu L, Yan H, Lee SF, Mony P, Devanath A, Rosengren A, Lopez-Jaramillo P, Diaz R, Avezum A, Lanas F, Yusoff K, Iqbal R, Ilow R, Mohammadifard N, Gulec S, Yusufali AH, Kruger L, Yusuf R, Chifamba J, Kabali C, Dagenais G, Lear SA, Teo K, Yusuf S: Urinary sodium and potassium excretion, mortality, and cardiovascular events. New England Journal of Medicine 2014;371:612-623.
  10. Mente A, O’Donnell MJ, Dagenais G, Wielgosz A, Lear SA, McQueen MJ, Jiang Y, Xingyu W, Jian B, Calik KBT, Akalin AA, Mony P, Devanath A, Yusufali AH, Lopez-Jaramillo P, Avezum AJ, Yusoff K, Rosengren A, Kruger L, Orlandini A, Rangarajan S, Teo K, Yusuf S: Validation and comparison of three formulae to estimate sodium and potassium excretion from a single morning fasting urine compared to 24-h measures in 11 countries. Journal of Hypertension 2014;32:1005-1015.
  11. Mente A, O’Donnell M, Rangarajan S, Dagenais G, Lear S, McQueen M, Diaz R, Avezum A, Lopez-Jaramillo P, Lanas F, Li W, Lu Y, Yi S, Rensheng L, Iqbal R, Mony P, Yusuf R, Yusoff K, Szuba A, Oguz A, Rosengren A, Bahonar A, Yusufali A, Schutte AE, Chifamba J, Mann JFE, Anand SS, Teo K, Yusuf S: Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies. The Lancet 2016;388:465-475.
  12. Ornish D: Mostly plants. American Journal of Cardiology 2009;104:957-958.