… bevor er überhaupt steht – ein paar Gedanken zum allerjüngsten Zensurbeispiel
Ich hatte Mitte August das Buch „Angst, Politik, Zivilcourage“, hrsg. von T.A. Seidel und S. Kleinschmidt in der Evangelischen Verlagsanstalt rezensiert [1]. Die Rezension war original in der Onlinezeitung „Achse des Guten“ publiziert worden. Ich hatte damals eine leise Hoffnung geäußert: Was Frau Lengsfeld, die auch in dem Buch mit einem Beitrag vertreten ist, und ihre Freunde nach der Wende erreicht hatten – nämlich einen politischen runden Tisch – das könnte vielleicht mit diesem Buch als „Runder Coronatisch“ beginnen. Als Ansatz einer kritischen, aber verbindlichen Aufarbeitung dessen, was in der Coronakrise an politischen Entscheidungen falsch gelaufen ist. Diese Hoffnung wurde nun zunichte. Die Evangelische Kirche hackt den runden Tisch zu Kleinholz, noch bevor er steht.
Am Montag, dem 27.11.23, publizierte „Tichys Einblick“: Auf Druck der „Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland“ und dem „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“, die beide Gesellschafter des Evangelischen Verlagswerkes sind, in dem das Buch erschienen ist, wurde die Auslieferung des Buches gestoppt. Der Grund dafür: In einigen Beiträgen seien durch „Demokratieverachtung“ und „Antisemitismus“ „rote Linien“ überschritten worden. Daher sei das Buch „ein gravierender Fehler“ gewesen, aus dem man lernen wolle. So hätten die Verantwortlichen in einer Presseerklärung Anfang November die Bücherzensur gerechtfertigt.
Mich erinnert das an die Sprache erzwungener Selbstbezichtigung. Die Verantwortlichen wissen selbst am besten, ob sie tatsächlich aus ehrlicher Überzeugung gehandelt haben oder aufgrund externen Druckes. Aber eines weiß ich: Ein Buch aus dem Verkehr zu ziehen, das den mangelnden Diskurs in einem demokratischen Staat analysiert und neue Gespräche einfordert, genau dieses Vorgehen selbst ist Demokratieverachtung.