Brücken zwischen Psychotherapie und Spiritualität – mein neues Buch ist erschienen

Mein neues Buch ist jetzt erschienen. Es befasst sich mit der Verbindung zwischen Spiritualität und Psychotherapie.

Darin argumentiere ich dafür, dass Spiritualität im Bereich der Psychotherapie hilfreich sein kann, als Ressource für Therapeuten und Patienten gleichermaßen. Ich verwende auch einen Teil der begriffsarchäologischen Arbeit dafür, das Tabu, das zwischen Spiritualität und Psychotherapie bzw. Wissenschaft liegt, argumentativ zu durchbrechen. Dabei hilft die Unterscheidung zwischen: 1. Wissenschaft als nüchternem Geschäft, die Wahrheit über die Welt und ihre Zusammenhänge herauszufinden und 2. Wissenschaft als Weltanschauung oder Religion. Diese neumodische Weltanschauung, die sich unter verschiedenen Begriffen wie „Naturalismus“, „naturwissenschaftliche Weltanschauung“, „Materialismus“, „neuer Atheismus“ allgemein verbreitet hat, ohne dass ihr religiöser Charakter offensichtlich ist, verorte ich – mit ihren Auslegern – als Religion.

Wenn man verstanden hat, dass dies eben bloß eine mögliche Religion unter vielen ist, dann kann man Spiritualität als menschlichen Erfahrungsbereich und psychotherapeutische Arbeit zwanglos verbinden. Dazu gebe ich Anregungen.

Um das intellektuell aufrichtig tun zu können, muss aber auch erst das Missverständnis ausgeräumt werden, das sich aus dem Naturalismus ergibt: Spiritualität sei mit Religion, der dogmatischen Fassung zumal, identisch. Ich sehe Spiritualität und Religion als komplementäre Begriffe an. Spiritualität ist der Bereich innerer Erfahrung eines transzendenten Grundes und als solcher unverfügbar. Menschen haben diese Erfahrung seit Urzeiten gemacht und werden sie immer machen. Manche, weil sie absichtlich danach suchen, manche, weil die Erfahrung sie ereilt. Im Laufe der Generationen ist aus dem Versuch, diese Erfahrungen mitzuteilen, sie in Formen und Rituale zu fassen, Religion entstanden. Denn jede Erfahrung will mitgeteilt werden und braucht Form und Fassung, um wirksam zu werden. Daher ist die begriffliche Trennung von Religion und Spiritualität aus meiner Sicht wichtig und ich verwende einige Seiten darauf, dies zu illustrieren.

Genauso wie Religion, toxische vor allem, oft ein Grund für psychische Belastung ist und Psychotherapeuten viel Arbeit verschafft, kann gelungen integrierte Spiritualität eine große Ressource sein und Psychotherapeuten helfen. Für viele Menschen ist Religion und ihre erfahrungsmäßige Stärkung durch spirituelle Erfahrung eine Stütze. Das ist gut für Therapeuten zu wissen. Daher verwende ich auch ein paar Seiten auf die begriffliche Sortierung dieser Bereiche und argumentiere dafür, Spiritualität als menschlichen Erfahrungsbereich, genauso wie Liebe, Trauer, Hoffnung usw. ernst zu nehmen. Weil Spiritualität gewissermaßen eine Fundamentalerfahrung ist, kann sie sehr nützlich sein und ist zentral beim Verständnis psychischer Probleme. Denn psychische Traumata und Leiden führen fast immer auch zu Verunsicherungen im spirituellen Gerüst eines Menschen. Und umgekehrt versuchen manche Menschen ihre psychischen Traumata durch Stärkung des spirituellen Erfahrungsbereiches zu kompensieren. Das gelingt manchmal, und manchmal führt es zu zusätzlichen Verbiegungen.

Und so vergleiche ich menschliches Wachsen mit einer Leiter mit mindestens zwei Holmen. Psychotherapie befasst sich normalerweise nur mit dem einen Holm des psychischen Funktionierens. Ohne eine solide spirituelle Grundsicherheit ist aber meistens gedeihliches Wachsen nicht möglich. Daher suchen viele Menschen im Selbsthilfebereich nach Erfüllung, etwa durch spirituelle Praktiken wie Yoga, Meditation oder anderes. Das kann funktionieren, birgt aber dann Probleme, wenn das psychische Persönlichkeitsgerüst brüchig ist. Das ist wichtig zu wissen und ich gebe dazu ein paar Verständnishilfen.

Ich gebe Anregungen für Therapeuten zu den Fragen, ob, wann und wie Spiritualität im Rahmen einer Psychotherapie sinnvoll aufgegriffen und integriert werden kann. Dazu streue ich immer wieder Übungen ein. Das sind teilweise einfach nachzuvollziehende Meditations- oder Sammlungsübungen, teilweise sind es Imaginationsübungen und Anregungen dazu, wie man solche Übungen anpassen kann.

Einige Kolleginnen und Kollegen, die mit einem solchen Ausblick arbeiten, haben mir auch Fälle geschickt, die demonstrieren, wie man Spiritualität und spirituelle Praktiken sinnvoll in die Psychotherapie integrieren kann. Ich habe auch einige eigene Fälle und Erfahrungen eingestreut. Dies mag dabei helfen zu illustrieren, wie eine solche Arbeit konkret aussehen kann.

Insofern ist dieses Buch eines mit mehreren Zielen und Adressaten: Im ersten Teil arbeite ich argumentativ, historisch und systematisch und zeige, warum dieses Unterfangen hilfreich ist. Im zweiten Teil arbeite ich praktisch, anregend, mit Beispielen und Übungen. Damit will ich sowohl Praktiker erreichen als auch Fragende, Suchende, Zweifelnde. Patienten und solche, die auf der Suche nach therapeutischer Hilfe sind können sich genauso informieren wie Ärzte und Therapeuten. Aber auch das allgemeine Publikum wird ein paar interessante Gedanken finden.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich rede nicht der Vermischung das Wort, einer esoterisch-unkritischen Art von psychotherapeutischem Mischmasch. Sondern ich bin der Meinung, dass Spiritualität als menschlicher Erfahrungsbereich eine sehr wichtige Ressource zum Erhalt und auf dem Weg zur psychischen Gesundheit sein kann. Daher kann es für Therapeuten und Ärzte nützlich sein, sich die Wege dorthin für sich selbst freizulegen, um nicht auszubrennen. Es kann aber eben auch für viele Patienten hilfreich sein, wenn sie Wege finden, ergänzend oder begleitend zu ihrer psychotherapeutischen Arbeit, ihre spirituellen Wurzeln neu zu entdecken – und wenn Therapeuten sie dabei verständnisvoll begleiten. Diese spirituelle Begleitung wird sehr häufig nicht in der Hand der Psychotherapeuten liegen. Aber es hilft, wenn sie darüber wissen und die dabei auftretenden Erfahrungen und Prozesse verstehen können. Sie sollten sich aber keiner Illusion hingeben: Durch den kulturellen Rückzug der Religion in unserer postmodernen Gesellschaft ist die Funktion des Pfarrers und Seelenbegleiters immer mehr in die Hände der professionellen Begleiter, Psychotherapeuten, Coaches, Berater, Ärzte gelegt, ob sie es wollen oder nicht.

Idealerweise können Therapeuten beide Instrumente handhaben. Die Kolleginnen und Kollegen, die ich in dem Buch zu Wort kommen lasse, sind solche, die beides in ihrer Arbeit integrieren können. Das mag vielleicht auch eine Anregung darstellen, die die Debatte beleben kann und die verhärteten Fronten aufweicht. Jedenfalls wäre das meine Hoffnung. Vielleicht hilft es auch dazu, solche Ansätze stärker wissenschaftlich in den Blick zu nehmen, ihre Wirksamkeit zu beforschen und der Frage nachzugehen, wann ein solches Vorgehen sinnvoll ist. Denn im Moment ist all das, was ich hier zu sagen habe, vor allem aus der Erfahrung Einzelner entstanden. Aber so beginnt eben jeder wissenschaftliche Neuanfang.

Brücken zwischen Psychotherapie und Spiritualität (beim Verlag)