Was uns die Honigbiene und die Tschechen zu sagen haben

Ein paar neue Befunde: zur Wundheilung aus der Komplementärmedizin und zur Nutzung von Komplementärmedizin in Tschechien, sowie ein paar Assoziationen

Normalerweise mache ich keine Werbung in eigener Sache. Diesmal schon: ich betreue seit einigen Jahren als Chefherausgeber das vom Karger-Verlag in liebevoller alter Verlegerarbeit herausgegebene wissenschaftliche Journal „Forschende Komplementärmedizin – Research in Complementary Medicine (FoKom)“. Warum „Liebevolle Verlegerarbeit“? Zu Zeiten von massiver Überflutung mit Online-Publikationen, bei denen nicht mal mehr richtig lektoriert wird und zu Zeiten, da die wissenschaftliche Verlagslandschaft von Giganten auf dem Markt beherrscht wird, ist es alles andere als selbstverständlich, dass sich Menschen mit gründlichem Engagement um Inhalte bemühen und nicht nur um Geld [1]. Nach dieser kleinen dankbaren Hommage in Richtung unseres Redaktionsbüros in Freiburg nun zum eigentlichen Thema dieses Beitrags.

Normalerweise ist das, was wir in „Forschende Komplementärmedizin“ publizieren recht speziell und vor allem für forschende Akteure auf dem Gebiet interessant, nicht notwendigerweise für das öffentliche Publikum. Das ist bei der neuen Ausgabe anders. Interessierte können in einem frei zugänglichen Editorial (alle unsere Editorials sind das) nachlesen, warum das Anhäufen von Daten nicht ausreichend ist, um der Komplementärmedizin zu öffentlicher Geltung im Forschungssystem zu verhelfen, solange die Vormeinungen in den Köpfen der Akteure mehrheitlich anders gelagert sind (Harald Walach: „Mehr Daten? Mehr denken? Umdenken!“).

Ich wollte aber vor allem auf zwei empirische Originalarbeiten hinweisen:

Die Honigbiene bringts
Eine persische Arbeitsgruppe um Goharshenasan aus Teheran hat in einer sehr schönen Arbeit zeigen können, dass Wundverband mit Honig bei normalen chirurgischen Wunden zu einem rascheren und vollständigeren Heilprozess führt als normale Wundversorgung mit steriler Vaseline und Gaze [2]. Das finde ich aus mehreren Gründen schön. Wir sehen, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Naturheilverfahren keine Marotte von uns überkandidelten Deutschen ist: in Persien hat Naturheilkunde eine lange Tradition. Sie ist dort zum Teil – wie in Indien das Unani-System – als Erbe der griechischen Medizin zurückgeblieben und hat zum Teil ganz eigene indigene Wurzeln. Ausserdem zeigt sich, dass wissenschaftliche Kontakte auch über weltanschaulich-politische Grenzen und jenseits aller Boykotte wirksam sein können – wir haben schon Arbeiten aus dem Iran publiziert, als noch Boykott herrschte. Aber vor allem sehen wir mit moderner Methodik aufgearbeitet, dass ein alt bekanntes Heilmittel, Honig, wirksam ist.

Die Autoren haben bei 52 Patientinnen und Patienten, die beidseitige symmetrische OP-Schnitte im Rahmen einer Operation erhalten haben, eine der Wunden normal versorgt, mit Gaze und sterilisierter Vaseline, die andere mit einer drei Millimeter dicken Schicht aus Honig (der vorher mit UV Licht sterilisiert worden ist und ebenfalls Gaze versteht sich). Die Chirurgen, die die Einschätzung der Wunden vornahmen, wussten nicht, welche Wunde mit Honig und welche normal versorgt worden war und die Auswahl der Wundversorgung erfolgte per Zufall. Auch die Patienten waren nicht im Bilde, welche Wunde wie versorgt worden ist. Nach drei und sechs Monaten wurden die Wunden eingeschätzt und die Wundheilung anhand der Narbendicke vermessen. Nach einem halben Jahr schätzten die Chirurgen bei 65% der konventionell versorgten und bei 0% der mit Honig versorgten Wunden die Wundheilung als schlecht ein, und ein gutes Ergebnis fanden sie bei 85% der mit Honig versorgten Wunden und bei 0% der konventionell versorgten Wunden. Man muss fairerweise sagen: es gab einen kleinen Patientenschwund und bei der großen Diskrepanz der Einschätzungen weiß man nicht so genau, ob die Verblindung immer durchgehalten wurde.

Die objektive Vermessung der Narben zeigt allerdings das gleiche Bild: die Narben auf der Honigseite waren 3.5 mm dick, auf der konventionellen Seite 5.3 mm. Das ist ein Unterschied von 1.6 Standardabweichungen und damit ein riesengroßer Effekt. Der müsste jetzt eigentlich dazu führen, dass in allen deutschen und anderen Leitlinien Honig als Wundpflegemittel auftaucht, jedes Krankhaus einen Imker einstellt und die Balkonimkerei zum neuen Hobby wird. Oder wenigstens, dass eine richtig große Studie in Hamburg, München oder Berlin gemacht wird. Denn erst dann sind ja das Feuilleton und der Deutsche im Allgemeinen geneigt, einer Information zu glauben.

Was die Tschechen zu sagen haben
In der gleichen Ausgabe der FoKom berichtet eine tschechische Arbeitsgruppe von der ersten repräsentativen Befragung über die Benutzung von Komplementärmedizin in Tschechien, erhoben an knapp 1800 Personen, die repräsentativ aus einem Wählerregister gezogen wurden [3]. Ihr Befund ist interessant hinsichtlich der momentan sich verbreitenden Hysterie, die Popularität von Komplementärmedizin und Homöopathie in der Bevölkerung könnte gar gefährlich werden, weil damit wichtige Behandlungen und Diagnosen versäumt würden.

Die Daten von Frau Pokladnikova und Frau Selke-Krulichova zeigen das glatte Gegenteil: erstens zeigen sie, dass die häufigste Nutzung von Komplementärmedizin Selbstbehandlung im Sinne einer Vorbeugung ist und nicht Behandlung von Krankheiten, nämlich bei 82% der Nutzer. Und zweitens zeigen sie, dass auch in Tschechien Komplementärmedizin verbreitet ist. 76% der Teilnehmer geben an, in den vergangenen 30 Tagen komplementärmedizinische Maßnahmen benutzt zu haben. Am häufigsten wurden Vitamine, Spurenelemente und Kräuter, etwa in Form von Tees, aber auch Massagen und Entspannung genannt. Alternative Medizinsysteme wie Homöopathie oder Ayurveda spielen dort kaum eine Rolle.

Zum Vergleich
Wenn Komplementärmedizin medizinisch-therapeutisch genutzt wird, dann vor allem zur Behandlung von muskuloskeletalen Problemen und von Atemwegsproblemen. Interessanterweise sind dies gerade zwei Konsultationsanlässe, die man auch in Deutschland häufig bei komplementärmedizinischen Behandlungen, auch bei der Homöopathie, findet. Warum wohl? Weil, wie sich gerade herausstellt, die konventionellen Optionen hier nicht sonderlich weit reichen. Gerade eben hat eine große Studie gezeigt, dass bei akuten Muskel- und Rückenschmerzen das antientzündliche Schmerzmittel Paracetamol nicht wirkt [4]. Dass es bei chronischen Schmerzen nicht funktioniert, wissen wir schon eine Weile, weswegen die englische Rückenschmerzleitlinie auch von Schmerzmitteln abrät [5].

Eine ebenfalls vor kurzem in der „Forschenden Komplementärmedizin“ publizierte Meta-Analyse aus der Arbeitsgruppe um Prof. Langhorst und Prof. Dobos in Essen hat gezeigt, dass pflanzliche und naturheilkundliche Maßnahmen bei Husten sehr wohl helfen [6]. Alle untersuchten Pflanzenpräparate außer Echinacea sind wirksam gewesen: Andrographis, Pelargonium, Efeu, Primel und Thymian, mit zum Teil großen Effektstärken. Solche konnte man bei den konventionellen Hustenlösern, etwa N-Acetyl-Cystein, nicht finden.

Was hilft
Diese und verschiedene andere Daten lehren: wir sollten vielleicht unsere gängige Sichtweise überdenken, dass alles, was im konventionellen Rahmen angeboten wird, per se nützlich und wirksam ist. Das könnte der neuen Homöopathiekritik ein kleines Lehrstück sein. Das Problem ist nämlich nicht, dass durch die Inanspruchnahme von Homöopathie und Co. wichtige, wirksame und wissenschaftlich belegte Therapien versäumt werden. Das Problem ist vielmehr, dass die angeblich wichtigen, wirksamen und wissenschaftlich belegten Therapien dies oft viel weniger sind, als wir denken. Mögliche naturheilkundliche Alternativen sind zu wenig gut untersucht – und wenn untersucht, sind sie zu wenig in den Leitlinien berücksichtigt [7].

Das Wissen darüber ist oft nur in Form von Erfahrungswissen verfügbar. Die Patienten spüren aber sehr genau, was ihnen hilft und wo ihnen geholfen wird. Daher wäre der nötige, der eigentliche Schritt der Aufklärung: solide Forschung über Naturheilkunde, staatlich gefördert und infrastrukturell eingebunden mit einer vorurteilsfreien Betrachtung. Davon sind wir noch Lichtjahre entfernt. Solange müssen wir mit den bekannten Verzerrungen leben. Aber wir könnten vielleicht beginnen, die Sache anders zu sehen [8].

Quellen und Literatur
[1] Walach, H. (2015). Die Schrott-Schwemme und fünf Gründe, warum wir nicht dazugehören. Forschende Komplementärmedizin, 22, 152-154. http://www.karger.com/Article/Pdf/434665
[2] Goharshenasan, P., Amini, S., Atria, A., Abtahi, H., & Khorasani, G. (2016). Topical application of honey on surgical wounds: a randomized clinical trial. Forschende Komplementärmedizin, 22, 12-15. http://www.karger.com/Article/FullText/441994
[3] Pokladnikova, J., & Selke-Krulichova, I. (2016). Prevalence o complementary and alternative medicine use in the general populatoin in the Czech Republic. Forschende Komplementärmedizin, 23, 22-28. http://www.karger.com/Article/Abstract/443712
[4] Williams, C. M., Maher, C. G., Latimer, J., McLachlan, A. J., Hancock, M. J., Day, R. O., et al. (2014). Efficacy of paracetamol for acute low-back pain: a double-blind, randomised controlled trial. The Lancet, 384(9954), 1586-1596.
[5] Savigny, P., Kuntze, S., Watson, P., Underwood, M., Ritchie, G., Cotterell, M., et al. (2009). Low Back Pain: early management of persistent non-specific low back pain. London: National Collaborating Centre for Primary Care and Royal College of General Practitioners.
[6] Wagner, L., Cramer, H., Klose, P., Lauche, R., Gass, F., Dobos, G., et al. (2015). Herbal medicine for cough: a systematic review and meta-analysis. Forschende Komplementärmedizin, 22, 359-368. http://www.karger.com/Article/FullText/442111
[7] Klose, P., Kraft, K., Cramer, H., Lauche, R., Dobos, G., & Langhorst, J. (2014). Phytotherapie in den medizinischen S3 Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften – eine systematische Übersichtsarbeit. Forschende Komplementärmedizin, 21, 388-400. http://www.karger.com/Article/FullText/370079
[8] Walach, H. (2016). Mehr Daten? Mehr denken? Umdenken! (Editorial). Forschende Komplementärmedizin, 23, 3-5. http://www.karger.com/Article/FullText/444178